Montag, 27. Februar 2012

Ist das Ende der moralischen und geistigen Krise des Abendlandes in Sicht?


von Plinio Corrêa de Oliveira


       Papst Leo XIII. lehrt uns in seinem Rundschreiben „Annum ingressi sumus“, dass die heutige Welt mit ihrem Fortschritt, ihren Krisen, ihrem Reichtum und ihren Schwächen eine Frucht von zwei nicht nur verschiedenen, sondern sogar entgegengesetzten Einflüssen ist. Zum einen ist die von der Kirche aufgebaute christlichen Zivilisation auf dem Fundament des Glaubens, der Reinheit, der Disziplin und des Heldentums begründet, das die Missionare des Frühmittelalters in die Seelen der Barbaren eingepflanzt haben. Zum anderen ist da die skeptische, sinnliche, egoistische und stets zur Aufwiegelung bereite Welt, die ihren Ursprung hat in der protestantischen Reformation, sich weiter entwickelte in der Französischen Revolution und heute die Irrtümer der kommunistischen Auflehnung zu verbreiten versucht.

      Dieser tiefe Gedanke Leos XIII., der eigentlich das Leitmotiv beim Unterricht der mittelalterlichen, modernen und zeitgenössischen Geschichte in den katholischen Schulen und Universitäten sein sollte, erklärt das Wesentliche der großen Krise unserer Zeit.

Die christliche Auffassung von Gott und Schöpfung
     
      Gemäß der katholischen Lehre ist Gott ein persönliches, transzendentales Wesen, das Wesen par excellence, das in sich alle Vollkommenheit birgt. Alle anderen Wesen wurden aus dem Nichts von Gott geschaffen und würden zum Nichts zurückkehren, wenn Gott ihr Bestehen nicht ununterbrochen erhielte. Ihre Eigenschaften sind nicht mehr als eine Widerspiegelung seiner eigenen Vollkommenheit. Ihr einziges Ziel besteht darin, Gott zu dienen und ihn zu verherrlichen. Zwischen Gott und den Geschöpfen besteht also die größte Ungleichheit, die man sich vorstellen kann.
      Ihrerseits, sind die Geschöpfe unter sich ungleich. Die Engel sind reine Geister. Nach ihnen kommen die Menschen, die zugleich Geist und Körper besitzen; dann, in herabsteigender Rangordnung, die Tiere, die Pflanzen und die Mineralien. Jede dieser Kategorien weist ihrerseits eine Hierarchie auf. Die Engel sind in neun ungleichen Chören unterteilt. Die Menschen wurden zu einem unterschiedlichen Grad der Heiligkeit berufen und sind vor Gott unterschiedlich in den Reihen der glorreichen, sühnenden oder streitenden Kirche platziert, je nach dem wie sie der Gnade entsprochen haben oder entsprechen.
Auch wenn wir die Struktur der Kirche betrachten, wie viele Ungleichheiten kommen da zum Vorschein! Die Kirche setzt sich aus zwei extrem unterschiedlichen Teilen zusammen: Erstens, die Hierarchie, der die Aufgabe zukommt, das Volk zu führen, zu lehren und zu heiligen und zweitens, die Laien, die geführt, gelehrt und geheiligt werden.



Jesus Christus, der Gott-Mensch

      Beim betrachten dieser Ungleichheiten, darf man die göttliche und menschliche Person Unseres Herrn Jesus Christus nicht vergessen. Als Mensch gewordenes Wort Gottes ist Er über alle Geschöpfe erhaben, in seiner Menschlichkeit unterliegt Er der Natur der Engel, die ihn aber zugleich in seiner Göttlichkeit und Menschlichkeit anbeten.
Und die Jungfrau Maria, als Mutter des Gott-Menschen, obwohl sie Gott unendlich untergeordnet und auch, was die Natur betrifft, den Engeln unterlegen ist, verdient sie es, dass ihr gedient wird als Königin der Engel.



Die Tugend der Demut

      Die Demut ist die Tugend, die den Menschen dazu führt, die unendliche Überlegenheit Gottes und die begrenzte Überlegenheit der anderen Geschöpfe, sei es durch Talent, Schönheit, Reichtum oder Tugend, zu lieben.
      In einer Welt, in der Demut herrscht, ist die Hierarchie eine zu lieben würdige Selbstverständlichkeit. Hört aber die Demut auf zu bestehen, sind der Hass gegen die Hierarchie, der Durst nach Gleichstellung und folgend nach der Revolution unvermeidlich. Demut und Hierarchie, Hochmut und Auflehnung sind also zusammenhängende Begriffe.



Folgen des Hochmuts

      Als der Hochmut innerhalb der hierarchischen Kirche zum Ausbruch kam, erzeugte er den Protestantismus, der die freie Bibelauslegung einführte, das kirchliche Lehramt verneinte und aus jedem Menschen einen Papst für sich selbst machte. Es gab zwar weiterhin im Protestantismus Geistliche und Laien, der Unterschied zwischen ihnen aber war nur akzidentell. Einige Zweige des Protestantismus haben nicht nur den Papst durch den Bruch abgeschafft, sondern auch die Bischöfe; weiter andere auch die Priester. Die religiösen Ordensgemeinschaften wurden aufgelöst. Die Verehrung der Engel und Heiligen wurden abgeschafft und die Herrschaft Mariens über die ganze Schöpfung wurden verneint.
In einer zweiten Phase stürzte sich der gleichmacherische Hochmut auf die weltliche Hierarchie. Nach derselben revolutionären Logik wurden die Könige und die verschiedenen Abstufungen des Adels und der Aristokratie abgeschafft. Das "Dogma" der freien Auslegung rief das "Dogma" der Volksherrschaft hervor.
       Dies war die Arbeit der Französischen Revolution von 1789.
       Es blieb noch die Ungleichheit der Vermögen. Der marxistische Sozialismus und der Kommunismus übernahmen auf diesem Gebiet später dasselbe, was die protestantische und die Französische Revolution im kirchlichem und weltlichem Bereich unternommen hatten.
Es sollte auf der Welt keinen Gott, keinen Papst, keine Bischöfe, Priester, Könige, Herren und Obrigkeiten mehr geben.



Auflehnung gegen den Glauben

      Der Glaube, ein Hauptzug der christlichen Seele, ist auch, unter gewissen Aspekten, ein Akt der Demut. Der Mensch nimmt die offenbarten Wahrheiten an, nicht, weil er sie kraft seines Verstandes entdeckt hat, sondern weil Gott sie geoffenbart hat.
      Der Hochmut bäumte sich gegen die Offenbarung auf. Der Protestantismus entartete in Deismus, der Deismus in Pantheismus. Dieser ist die Behauptung, dass alles Gott sei. Wenn aber alles Gott ist, dann hätte die Gleichheit im ganzen Kosmos gesiegt. Denn, wenn alles aus der Natur her göttlich ist, dann ist alles wesentlich gleich.



Reinheit und freie Liebe

      Noch ein Wort über die Keuschheit.
      Nach der katholischen Morallehre ist der Geschlechtsverkehr nur innerhalb der monogamen und unauflöslichen Ehe erlaubt. Der Stand der vollkommenen Keuschheit, der von Klerikern und Ordensleuten streng bewahrt werden muss, ist auch bei den Laien sehr lobenswert. Hierin sieht man den Sieg der Disziplin über die Gefühle.
      Der Protestantismus, der Feind aller Bremsen, begann mit der Abschaffung des priesterlichen Zölibats und der Einführung der Ehescheidung. Luther ging sogar so weit, dass er die Polygamie zuließ, wenn es sich um Prinzen handelte. Die Französische Revolution hat die Ehescheidung in die Gesetzgebung der katholischen Länder eingeführt. Marx ging noch weiter: Er wollte die Eheschließung völlig abschaffen. Das war der Paroxysmus der Auflehnung gegen jegliche Autorität, gegen jedes Gesetz, gegen jeden Zügel (1).



Wer wird siegen?

Wer wird in diesem großen Kampf siegen?
Die Wolken, die vor uns stehen, sind keinesfalls rosig. Aber wir sind durch eine unbesiegbare Gewissheit beseelt, dass die Kirche nicht untergehen wird - was offensichtlich ist, wenn man das göttliche Versprechen in Erwägung zieht -, sondern zu einem Triumph kommen wird, der noch größer sein wird als der Sieg der Christen bei Lepanto im 16. Jahrhundert.
Wie? Wann? Die Zukunft gehört Gott allein. Was aber sicher ist, ist die Tatsache, dass der Heilige Geist weiterhin bewundernswerte geistige Kräfte des Glaubens, der Reinheit, des Gehorsams und der Hingabe innerhalb der Kirche hervorruft. Mit der Hilfe der Heiligen Jungfrau Maria werden sie, bei geeigneter Gelegenheit, den christlichen Namen mit Ruhm bedecken.



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(1) Jetzt werden sogar die letzten Schranken beseitigt, die die Menschen von den schlimmsten Sünden trennten. Durch die Abtreibung, die Euthanasie und das Klonen usurpiert der Mensch das Gott einzig und allein gehörende Recht auf Verfügung über das Leben. Durch die Legalisierung der Homosexualität vergewaltigt er die Ordnung der Natur, der alle Menschen folgen müssen. Und durch die esoterischen und satanischen Rituale, die sich rasant bei unserer Jugend verbreiten, beginnt er damit, den Teufel anstelle Gottes anzubeten.

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