Dienstag, 13. Dezember 2016

Plinio Corrêa de Oliveira, Geschichtstheologe des 20. Jahrhunderts


Der heilige Augustinus hat über die Tragödie seiner Zeit nachgedacht, hat sich aber weder das Mittelalter noch die darauf folgenden Jahrhunderte der Entfremdung vom Glauben vorstellen können. Doch fünfzehn Jahrhunderte nach Augustinus' Tod hat ein großer katholischer Denker mit Adleraugen das Panorama seiner Zeit und die Geschichte der ihr vorausgegangenen Jahrhunderte erfasst und wie kein anderer vor ihm die zerstörerische Kraft der Eigenliebe und die belebende Kraft der Liebe zu Gott verstanden.
Auch unser Zeitalter hat ihren heiligen Augustinus gehabt. Dieser Mann ist Plinio Corrêa de Oliveira. Man kann sein langes Leben als eine Tag für Tag im Laufe eines Jahrhunderts, vielleicht des schrecklichsten der Geschichte, gelebte Geschichtstheologie betrachten.
Der heilige Augustinus hat über den Untergang des Römischen Reiches meditiert. Plinio Corrêa de Oliveira hat den Untergang der christlichen Zivilisation betrachtet.
Um die dramatische Wirklichkeit unserer Zeit heraufzubeschwören, in der die westliche Zivilisation äußeren und inneren Feinden entgegentreten muss und die Kirche von einer schlimmeren Selbstzerstörung als der arianischen untergraben wird, brauchen wir nicht unsere Phantasie zu bemühen, denn dies geschieht vor unseren Augen. Um aber die Tiefe dieser Krise zu verstehen, brauchen wir die Hilfe der Geschichtstheologie.
Plinio Corrêa de Oliveira, der Geschichtstheologe des 20. Jahrhunderts, fragt sich, was das Wesen der Krise unserer Zeit sei, und hat dafür dieselbe Antwort wie der heilige Augustinus: Ihre Wurzeln sind in den ungezügelten Leidenschaften zu suchen.
Der gegen die christliche Zivilisation gerichtete Revolutionsprozess ist nach dem Verständnis des brasilianischen Denkers die etappenweise und sich ständig verwandelnde Entwicklung der regellosen Tendenzen des westlichen christlichen Menschen und der Irrtümer und Bewegungen, die sie schüren.
Der tiefere Grund für diese Entwicklung liegt nach Plinio Corrêa de Oliveira in einem wahren Ausbruch des Stolzes und der Sinnlichkeit, der eine ganze Reihe von Ideologien und sich aus diesen ergebenden Maßnahmen inspiriert hat.
Der Stolz führt zum Hass gegen alles Überlegene und schließlich zu der Behauptung, alle Ungleichheit sei an sich und auf allen Ebenen etwas Schlechtes, vor allem im metaphysischen und religiösen Bereich. Es ist dies der egalitäre Aspekt der Revolution. Die Sinnlichkeit hinwieder wehrt sich gegen jede Art von Zügelung und führt zum Aufstand gegen jede Form von Autorität und Gesetz menschlicher oder göttlicher, kirchlicher oder ziviler Natur. Es ist dies der liberale Aspekt der Revolution. Beide scheinbar widersprüchlichen Aspekte vereinigen sich in der Utopie von einem anarchischen Paradies, in dem eine hoch entwickelte und von jeder Art Religion emanzipierte Menschheit frei von jeder Autorität in völliger Freiheit und Gleichheit leben soll.
In seinem Buch Revolution und Gegenrevolution beschreibt Plinio Corrêa de Oliveira mit scharfem Verstand die Dynamik der ungezügelten Leidenschaften und zeigt, dass nur aus einer entgegengesetzten, ebenso totalen und dominierenden Leidenschaft eine siegreiche Reaktion gegen die Revolution hervorgehen kann. Diese Leidenschaft ist die Liebe zu Gott: eine Liebe, die sich auf sein ganzes Werk erstreckt und zu einer Liebe zur Kirche und zur christlichen Zivilisation wird. "Mit anderen Worten, entweder bekehrt sich die Welt und gibt getreu die Sicht des heiligen Augustinus von der ‚Stadt Gottes' wieder, in der sich alle Menschen dermaßen von der Liebe zu Gott treiben lassen, dass sie alles unterlassen, was die andern verletzen könnte; oder aber die Welt wird im Gegenteil zu einer Stadt des Teufels, in der sich alle dermaßen von der Liebe zu sich selbst treiben lassen, dass sie am Ende sogar Gott vergessen." (1)
Wenn die Dynamik der menschlichen Leidenschaften, verbunden mit einem metaphysischen Hass gegen Gott, die Wahrheit und das Gute, die stärkste Antriebskraft der Revolution ist, besteht also eine dynamische konterrevolutionäre Symmetrie, die die Beherrschung der Leidenschaften durch ihre Unterordnung unter den Willen und die Vernunft zum Ziel hat.
Diese geistige Kraft ist aber unvorstellbar ohne Miteinbeziehung des übernatürlichen Lebens, das den Menschen über das Elend der gefallenen Natur hinaushebt. In dieser geistigen Kraft liegt für Plinio Corrêa de Oliveira die tiefere Dynamik der Gegenrevolution. "Der Kampf zwischen der Revolution und der Gegenrevolution", schreibt er, "ist ein seinem Wesen nach religiöser Kampf". (2) Wie alle religiösen Probleme kann auch dieses nicht von der Hilfe der Gnade absehen, von der jede echte moralische Erneuerung abhängt.
"Die Gnade hängt von Gott ab, es ist aber ohne Zweifel, dass Gott durch einen freien Akt seines Willens gewollt hat, dass die Austeilung der Gnaden von der Gottesmutter abhänge. Maria ist die universale Vermittlerin und der Kanal, durch den alle Gnaden fließen. Deshalb ist ihre Hilfe unentbehrlich, damit die Revolution nicht siegt, oder aber damit diese von der Gegenrevolution besiegt werde. (...) Die Verehrung der Gottesmutter ist eine Conditio sine qua non dafür, dass die Revolution niedergeschlagen werden kann und die Gegenrevolution den Sieg davonträgt." (3)
Die Frage des Beitrags der Gottesmutter zur Gegenrevolution beschränkt sich jedoch nicht auf die Frage der Gnade. Man darf nicht die Rolle vergessen, die der Teufels beim Ausbruch und Vormarsch der Revolution spielt. "Das logische Denken sagt uns, dass ein so tiefgehender und umfassender Ausbruch der ungezügelten Leidenschaften wie der, der am Anfang der Revolution steht, nicht ohne einen präternaturalen Eingriff hätte geschehen können." (4) Deshalb hängt auch dieser Antriebsfaktor vom Kommando und der Macht der Gottesmutter ab.
Gott lässt aus einem unermesslichen Übel das unermesslich Gute entstehen. So hat der Aufstand des Teufels nicht nur zur Fleischwerdung des Wortes geführt, sondern sogar zur Gottesmutterschaft Mariens und damit auch zu ihrer privilegierten Rolle, die darin bestehen wird, das Haupt des Teufels zu zertreten und die Absichten Gottes vollkommen zu erfüllen. Der Höhepunkt der Geschichte wird daher das Reich Mariens sein.

(Aus eine Vortrag von Prof. Roberto de Mattei auf der 6. Sommerakademie der TFP 2006)

1 Plinio Corrêa de Oliveira, Um remédio que agravará o mal, in "O Legionário", Nr. 491 (8. Februar 1942).
2 Plinio Corrêa de Oliveira, La devozione mariana e l'apostolato contro-revoluzionario, in "Cristianità", Nr. 8 (Nov.-Dez. 1974).
3 Ibid.
4 Ibid.

Dienstag, 29. November 2016

Drei Jahrzehnte unermüdlichen Kampfes für das katholische Litauen – 3. Teil


Das große Täuschungsmanöver der Perestroika

Gorbatschow, von den Medien des Großkapitalismus weltweit als ein Mann von außerordentlichen Eigenschaften und Reizen hingestellt, verstand es, einen der öffentlichkeitswirksamsten Schachzüge des Kommunismus in ein russisches Zauberwort — Perestroika — zu verpacken und damit die westliche Welt für sich einzunehmen.
Was bedeutet Perestroika? Mit diesem Begriff sollte eine interne Umstrukturierung jener Staaten bezeichnet werden, die damals die Sowjetunion bildeten — zu diesen zählte auch Litauen — beziehungsweise als Satelliten zum Warschauer Pakt gehörten; ihr Ziel bestand darin, diese Länder aus dem chronischen Elend herauszuführen, in das sie geraten waren. Die Perestroika sollte durch die Glasnost, einen neuen, von Transparenz in den Beziehungen zwischen den kommunistischen Ländern und der freien Welt geprägten Stil ermöglicht werden.
Gorbatschow erklärte, der Zweck seiner Reformen liege darin, „den Übergang von einem extrem zentralisierten und von Weisungen von oben abhängigen Dirigismus zu einem demokratischen, auf einer Verbindung von demokratischem Zentralismus und Selbstverwaltung beruhenden System“ zu garantieren. Nach Gorbatschows Worten bedeutet Perestroika „Masseninitiative, volle Entwicklung der Demokratie, sozialistische Selbstverwaltung, Anspornung zu Initiative und schöpferischem Einsatz, bessere Disziplin und Ordnung, mehr Glasnost (Transparenz), Kritik und Selbstkritik in allen gesellschaftlichen Bereichen“. (5)
Wie aus seinem Buch deutlich hervorgeht, nahm Gorbatschow mit seinem Eintreten für die sozialistische Selbstverwaltung lediglich die Ideen Lenins wieder auf. „Perestroika bedeutet demnach nicht, wie viele meinen, ein Zurückweichen des Kommunismus, sondern ein Schritt nach vorn bei dem Versuch, das letzte Ziel der marxistisch-leninistischen Utopie zu verwirklichen“, warnt Plinio Corrêa de Oliveira. (6)
Es ging auch keineswegs darum, die marxistische Wirtschaft in eine Marktwirtschaft zu verwandeln. „Die Arbeiterklasse wird keinen unterstützen, der die Absicht hegt, die Sowjetgesellschaft kapitalistisch zu machen“, behauptete Gorbatschow. (7)

Worum ging es dann eigentlich?

In Wirklichkeit waren sowohl Perestroika als auch Glasnost nichts als eine weitere Aktion der revolutionären psychologischen Kriegsführung mit dem Ziel, die Widerstände gegen das kommunistische Denken im westlichen Lager abzubauen. Danach wäre es um so leichter, mit geschickten Maßnahmen der revolutionären psychologischen Kriegsführung eine Annäherung zwischen dem Osten und dem Westen in die Wege zu leiten. Auf diese Weise könnten dann die Ideen der Revolution wirksam in der freien Welt verbreitet werden.
Andererseits waren sich die Rädelsführer des seit 1917 in Russland und seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs in den Satellitenstaaten an der Macht befindlichen kommunistischen Molochs wohl bewusst, dass sie zwar die Massen beherrschten, diese jedoch nie wirklich überzeugen konnten. Früher oder später musste dies notgedrungen zu einer tiefen Krise im Regime selbst führen. Um diese Krise zu verbergen und zu überwinden bot Gorbatschow der Welt seine Perestroika an.

Die Berliner Mauer stürzt ein 
und es fällt der Eiserne Vorhang

Nichts davon verhinderte jedoch, dass in der kommunistischen Welt selbst sogenannte „konservative“ oder stalinistische Kreise die von Gorbatschow eingeleiteten Reformen voller Argwohn betrachteten. Und dass in den Satellitenstaaten das Streben nach Befreiung vom sowjetischen Joch immer stärker wurde.
Bei diesem Stand der Dinge kam es zu einem Aufsehen erregenden Ereignis: am 9. November 1989 sah die Welt vor ihren Augen die Berliner Mauer einstürzen, die die deutsche Hauptstadt zweigeteilt hatte: in einen westlichen, freien Teil und in einen östlichen, kommunistischen Teil.
So kam der Sturz der Berliner Mauer noch zu den durch die Perestroika Gorbatschows ausgelösten Unruhen hinzu und gab der Sehnsucht nach Unabhängigkeit neue Nahrung, nicht nur in Litauen, sondern auch in Estland, Lettland, Polen, in der Tschechoslowakei, in Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Jugoslawien, Armenien und Aserbaidschan.
Die Folgen waren unvermeidlich: Der Fall der Berliner Mauer führte auch zum Abbau des Eisernen Vorhangs, der die kommunistischen Länder von der freien Welt trennte. Damit waren die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass entschlossene Länder wie Litauen das Joch Moskaus abschüttelten.

Litauen erklärt sich unabhängig. Moskau übt Druck aus

Die Umstände, unter denen es am 11. März 1990 zur Unabhängigkeit Litauens kam, sollen hier von Antanas Račas, einem ihrer treuesten Vorkämpfer und Streiter, näher beschrieben werden. Er war damals Mitglied des litauischen Parlaments und arbeitete eng mit Vyatautas Landsbergis, dem neuen Staatschef Litauens, zusammen. Doch zuerst wollen wir kurz auf jene Ereignisse eingehen, die für ein Verständnis der Maßnahmen notwendig sind, die damals im Westen mit dem Ziel unternommen wurden, die Unabhängigkeit Litauens abzusichern. Diese Absicherung war deshalb geboten, weil Litauen mit seinen gut drei Millionen Einwohnern, die ihre Hauptstadt und ihr Land von der Roten Armee besetzt sahen, auf keinen Fall in der Lage gewesen wäre, dem sowjetischen Moloch ohne ein großes politisches Geschick und wichtige internationale Unterstützung entgegenzutreten.
Tatsächlich begann Moskau gleich nach der Unabhängigkeitserklärung, einen starken politischen Druck auf Vilnius auszuüben. Am 15. März erklärte das Parlament der UdSSR den Unabhängigkeitsakt als ungültig. Eine Woche später wurden die öffentlichen Gebäude und die wichtigsten Zeitungsredaktionen der Hauptstadt von sowjetischem Militär besetzt. Gleichzeitig verhängte der Kreml eine Wirtschaftsblockade über Litauen und stellte die Lieferung von Erdöl und Erdgas an das Land ein. Schließlich schlug er zynisch eine zwei- bis dreijährige „Einfrierung“ bzw. Aussetzung der Unabhängigkeit vor.
Später weiterte Gorbatschow bei einem Besuch in den USA diese Frist noch auf „fünf bis sieben Jahre“ aus und löste damit starke Proteste von Seiten amerikanischer Kongressabgeordneten aus. Wie trügerisch ein solches Versprechen klingen musste, wird deutlich, wenn man überlegt, dass während dieser Frist das Sowjetregime Litauen mit Truppen, Opportunisten und einer „fünften Kolonne“ vollstopfen und damit eine effektive Unabhängigkeit unmöglich machen konnte. Das Einfrierungsangebot war also nicht mehr als ein Täuschungsversuch, mit dem Gorbatschow die Fortdauer der russischen Herrschaft über das Land zu kaschieren gedachte.

Um nicht Gorbatschows Missfallen zu erregen...

Auch auf diplomatischem Wege suchten die Machthaber im Kreml die einflussreichsten Länder des Westens, wie etwa die Vereinigten Staaten, Deutschland und Frankreich, dazu zu bewegen, ihrerseits Druck auf Litauen auszuüben, das sowjetische Angebot anzunehmen. Dabei wurde das fadenscheinige Argument ins Spiel gebracht, dass Gorbatschow im Falle eines Misserfolgs seiner Bemühungen um die Rückgabe der Macht in Litauen an die Moskauer Hardliner mit einer Erstarkung des internen Widerstandes dieser Kreise gegen seine Perestroika-Politik zu rechnen hätte, was wiederum politische und militärische Konsequenzen nach sich ziehen würde, die den Weltfrieden in Gefahr bringen könnten.
Nach der Unabhängigkeitserklärung reiste die litauische Premierministerin Kazimiera Prunskiene auf der Suche nach Unterstützung für die Sache ihres Volkes nach Washington. Die renommierte Zeitschrift Human Events berichtete in ihrer Ausgabe vom 19. Mai 1990, dass die Regierungschefin damals bei ihrer Ankunft zur Besprechung mit dem Kabinett des Amerikanischen Präsidenten George Bush eine „gemeine Behandlung“ zuteil wurde. Das Treffen war vom Weißen Haus erst widerstrebend anberaumt worden, nachdem deutlich geworden war, dass mangelndes Interesse politischen Schaden anrichten würde.
 „Es erwarteten sie keine litauischen Fahnen, keine Ehrengarde war angetreten, ja nicht einmal polizeiliches Geleit wurde ihr gewährt“, fährt die Zeitschrift fort. Frau Prunskiene wurde mit ihrem Wagen nicht in die Anlagen des Weißen Hauses eingelassen. Man wies sie an auszusteigen, verlangte die Vorlage eines sowjetischen — nicht etwa ihres litauischen — Passes und ließ sie dann noch zehn Minuten stehen, bevor sie ohne Begleitung zu ihrer Zusammenkunft mit Bush ins Weiße Haus gehen durfte. Und das alles nur, weil das Weiße Haus Gorbatschow nicht brüskieren wollte.“
Ein andermal sickerte die Information durch, dass Präsident Bush irritiert auf das Zögern der litauischen Führung reagiert habe, auf das Verhandlungsangebot Moskaus einzugehen. Zu dieser Zeit soll ein hoher Beamter des Außenministeriums den Journalisten gegenüber geäußert haben: „Indem sie sich unfähig zeigen, einen gemeinsamen Entschluss zu fassen, erweisen sich die Litauer gewissermaßen pedantisch.“

Zu diesen Vorkommnissen schrieb die Zeitschrift Catolicismo im Juli 1990 folgenden Kommentar: „Soweit ist es nun gekommen: Ein Land, das einst frei gewesen war und dann fünfzig Jahre lang unrechtmäßig unterjocht wurde, wird als ,gewissermaßen pedantisch‘ bezeichnet, weil es sich nicht bereit erklärt, ohne ,internationale Garantien‘ das Angebot seines Henkers anzunehmen, das es unweigerlich wieder in die Gefangenschaft zurückführen wird.“
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(5) M. Gorbachev: Perestroika, Ed. Best Seller, São Paulo 1987, S. 35f.
(6) Plinio Corrêa de Oliveira: „Morto o comunismo? E o anticomunismo também?“, in Catolicismo, Oktober 1989.
(7) Vgl. O Globo, Rio de Janeiro, 18.11.1990.

Fortsetzung: Drei Jahrzehnte... 4. Teil

© Verwendung diese Artikels nur mit Quellenangabe dieses Blogs erlaubt.

Zuerst erschienen in Plinio Corrêa de Oliveira 

Donnerstag, 24. November 2016

Drei Jahrzehnte unermüdlichen Kampfes für das katholische Litauen – 2. Teil

Opfer des Nationalsozialismus und des Kommunismus

Die aus dieser Lage hervorgegangene Stimmung gegen Russland ließ sich 1905 für kurze Zeit von den Erfolgen der anti-zaristischen Revolution täuschen, in der bereits die Vorzeichen des Kommunismus zu erkennen waren. Im Ersten Weltkrieg wurde die alte litauische Hauptstadt Kaunas 1915 dann von deutschen Truppen besetzt. Nach dem Triumph der Oktoberrevolution 1917 zog das litauische Parlament die Selbständigkeit unter deutschem Protektorat vor. Als aber dann 1918 das Königreich Litauen ausgerufen werden sollte, fielen diese Pläne dem Sturz der zentralen Monarchien zum Opfer. Unter englischem und französischem Schutz wurde Litauen nun eine Republik, die sich wiederholt gegen Gebietsansprüche Polens und Angriffe gegen die Unabhängigkeit des Landes zur Wehr zu setzen hatte.
1939 besetzte Hitler Klaipeda (das frühere Memelgebiet im nördlichen Ostpreußen) und kurz darauf drang die Rote Armee in Wilna ein. Auf diese Weise sollte sich der abscheuliche, am 23. August 1939 von den Vertretern des deutschen Nationalsozialismus und des russischen Kommunismus unterzeichnete Ribbentrop-Molotow-Pakt auch auf Litauen auswirken. Hitler versicherte Stalin in diesem Pakt, dass er sich einer Besetzung Litauens durch die kommunistischen Truppen nicht widersetzen würde. Am 28 September wurde diese Abmachung dahingehend ergänzt, dass Litauen, abgesehen von einem schmalen Grenzstreifen im Süden des Landes, völlig in sowjetische Hände übergehen sollte. 1941 wurde auch dieses Gebiet gegen Zahlung einer Entschädigung an Deutschland an die Russen abgetreten. Kurz darauf wurde Litauen offiziell in die sogenannte Sowjetunion aufgenommen. Am selben Tag, an dem die Truppen Nazideutschlands in Paris einzogen, brachte die Rote Armee Litauen in ihre Gewalt.
Die Besetzung durch die Nazis und dann durch die Kommunisten hatte zur Folge, dass die Bevölkerung Litauens mehrere Verhaftungswellen über sich ergehen lassen musste: Zuerst hatten die Deutschen rund 300.000 unerwünschte Litauer umgebracht, dann kamen 1940 die Russen und deportierten etwa 145.000 Litauer. Und immer wieder wurden zahllose Katholiken festgenommen und zu Tode gefoltert. In der Nacht vom 14. auf den 15 Juni pferchten die Russen rund 35.000 Männer, Frauen und Kinder in Viehtransportwaggons zusammen und verfrachteten sie nach Sibirien in Konzentrationslager. Zwischen 1944 und 1953 (Todesjahr Stalins) wurden schätzungsweise 600.000 Litauer deportiert. Die große Mehrheit davon hat die Heimat nie wiedergesehen.

„Schandfleck unserer Zeit“

Die Erinnerung an die erst vor kurzem zu Ende gegangene Geschichte der sowjetischen Unterdrückung, die sich über mehr als ein halbes Jahrhundert erstreckt hat, ist noch immer sehr lebendig. Die Statthalter Moskaus zwangen den Menschen in den Sowjetrepubliken während all dieser Jahre eine Herrschaft auf, die soviel Elend und Knechtschaft mit sich brachte, dass die damals von Kardinal Ratzinger, dem heutigen Papst Benedikt XVI., geleitete Kongregation für die Glaubenslehre diese in einer Instruktion zu Recht als einen „Schandfleck unserer Zeit“ bezeichnete (1).
Zahllose Werke und Unterlagen bezeugen das Ausmaß und die Grausamkeit dieser Tyrannei. Gegen sie hat sich Plinio Corrêa de Oliveira immer wieder in seinen Reden, Vorträgen und Beiträgen, vor allem aber in den von ihm geleiteten Presseorganen Legionário und Catolicismo, ausgesprochen.

Litauischer Kongress in São Paulo

Der Gründer der TFP ließ es aber nicht bei bloßen Worten bewenden. Er nahm Kontakt zu führenden Vertretern von in São Paulo ansässigen Flüchtlingsgruppen aus den unterdrückten Völkern auf, um sie im Kampf gegen die kommunistische Unterdrückung in ihren Heimatländern zu unterstützen. In diesem Sinne versuchte er, sie in einer repräsentativen, an gemeinsamen Grundsätzen orientierten Vereinigung der vom Kommunismus unterdrückten Völker zusammenzuführen. Die in den sechziger Jahren aus diesen Bemühungen hervorgegangene Organisation nannte sichPro Libertate und setzte sich aus Vertretern der wichtigsten Flüchtlings-„Kolonien“ in São Paulo zusammen.
Als in dieser Stadt der III. Interamerikanische Litauer-Kongress stattfand, trat Plinio Corrês de Oliveira in seiner Rede für die Durchführung einer Unterschriftensammlung auf internationaler Ebene ein, mit der der Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika aufgefordert werden sollte, jeden Dialog mit dem Kreml davon abhängig zu machen, dass den baltischen Staaten dafür die Unabhängigkeit zu gewähren sei. Bei dieser Gelegenheit konnte sich sein Vorschlag jedoch nicht gegen die damals äußerst intensiv geführte Propaganda zugunsten einer Entspannung gegenüber den kommunistischen Ländern durchsetzen. Doch sollte der Gedanke später mit den Bemühungen um die Unabhängigkeit Litauens wieder aufleben.
Um die ganze Entwicklung besser verstehen zu können, die schließlich zur Befreiung Litauens geführt hat, ist es unerlässlich, zuerst einen Blick auf die Vorgänge in der damaligen kommunistischen Welt zu werfen.

Die Unzufriedenheit wächst

Sowohl in Russland als auch in den Satellitenstaaten führten die Ausmerzung der Freiheit, das Elend und die Tyrannei der Gefängnisse und Konzentrationslager zu einem tiefen, ständig zunehmenden Unbehagen. In einer Veröffentlichung zu diesem Thema bezeichnete Plinio Corrêa de Oliveira dieses Unbehagen als eine Unzufriedenheit in Großbuchstaben, denn in ihm strömte alle regionale und nationale, wirtschaftliche und kulturelle Unzufriedenheit zusammen, die sich im Laufe vieler Jahrzehnte angesammlet hatte. Er drückte dies in folgenden Worten aus:„Es war eine totale Unzufriedenheit, die vom Einzelnen stumm und wie gelähmt in seiner Wohnung, seiner Hütte, seiner Kate ertragen wurde, wo die Familie bereits aufgehört hatte zu bestehen und an die Stelle der Ehe das Konkubinat getreten war.
Unzufriedenheit, weil die Kinder dem elterlichen „Heim“ entzogen und dem Staat überantwortet wurden, der nun ganz allein für ihre Erziehung zuständig war.
Unzufriedenheit auch am Arbeitsplatz, wo Faulheit, Untätigkeit und Langeweile einen großen Teil der Zeit ausfüllten und die schäbigen Löhne nur zum Kauf von Lebensmitteln und Waren in ungenügender menge und von schlechter Qualität, dem typischen Produkt einer verstaatlichten und vom Staatskapitalismus gegängelten Industrie, reichten. In den langen Schlangen, die vor Geschäften anstanden, aus deren fast leeren Regalen das schamlose Elend bleckte, wurde flüsternd vom qualitativen und quantitativen Mangel an allem gesprochen.
Unzufriedenheit vor allem auch, weil fast überall der Gottesdienst verboten war, die Kirchen geschlossen waren und in den Schulen der Religionsunterricht durch die Pflichtfächer Materialismus und Atheismus, kurzum durch die kommunistische Unreligion ersetzt worden war.“ (2) So ist es durchaus verständlich, dass sich die unterdrückten Völker – sowohl in der sogenannten Sowjetunion als auch in ihren Satellitenstaaten – danach sehnten, das unerträgliche Joch endlich abzuschütteln. In dieser Hinsicht konnten die Aufstände in Ungarn 1956 und in der Tschechoslowakei 1968 als Vorbilder angesehen werden.

Sozialismus „mit menschlichem Gesicht“

Der Aufstand in Ungarn wurde gewaltsam niedergeschlagen. Der „Prager Frühling“ dagegen wurde von einem Vertreter des sogenannten Sozialismus „mit menschlichem Gesicht“ angeführt, wie ihn übrigens auch die Sozialistische Partei Frankreichs des Präsidenten François Mitterand für die achtziger Jahre in ihr Programm aufgenommen hatten. In einer Botschaft, die von den TFP-Vereinigungen in den wichtigsten Zeitungen der Welt mit einer Gesamtauflage von 33 Millionen Exemplaren in einer Vielzahl von Ländern veröffentlicht wurde, hat Plinio Corrêa de Oliveira dem Sozialismus diese Maske eines „menschlichen Gesichts“ heruntergerissen. (3) Worin bestand dieser „Sozialismus mit menschlichem Gesicht“ Mitterands und seiner Partei im Wesentlichen? Es ging vor allem darum, in den Familien, in den Schulen, in den Unternehmen die Selbstverwaltung einzuführen. Statt zurückzuweichen, sollte damit ein Schritt „über den Kommunismus hinaus“ getan werden; gemäß den Lehren von Marx und Lenin war man bereit, den Staat und alle seine Einrichtungen zu zerschlagen und an seine Stelle die Anarchie der Selbstverwaltung zu setzen. (4)

Obwohl es von der Presse und von einem bestimmten wirtschaftlichen, politischen und religiösen Establishment als unerschütterlicher Riese hingestellt wurde (und bis zu einem gewissen Punkt immer noch wird) – vollmundig sprach man von der anderen „Supermacht“ –,  war das Sowjetimperium in Wirklichkeit nicht mehr als ein Leprakranker, dessen faulendes Fleisch zusehends zerfiel. Die Kraft der „Supermacht“ beruhte vor allem auf der Unterstützung und den Mitteln, die aus dem Westen kamen. Nachdem nun der „Sozialismus mit menschlichem Gesicht“, der die westliche Welt unmittelbar den fortschrittlichsten Zielen des Kommunismus entgegenführen sollte, entlarvt worden war, brachten die Rädelsführer der marxistischen Revolution eine neue Komödie auf den Spielplan, indem sie den neuen sowjetischen Generalbevollmächtigten, Michail Gorbatschow, ins Rampenlicht treten ließen.
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(1) Vgl. Instruktion über einige Aspekte der Theologie der Befreiung, vom 6. August 1984, XI, 10. In vollem Wortlaut heißt es dort: „Nicht zu verkennen ist dieser Schandfleck unserer Zeit: Unter dem Vorwand, ihnen die Freiheit zu schenken, werden ganze Nationen knechtschaftlichen Bedingungen unterworfen, die des Menschen unwürdig sind“.

(2) Vgl. Plinio Corrêa de Oliveira: „Comunismo e anticomunismo na orla da última década deste milênio“, in Catolicismo, São Paulo, März 1990.
(3) Die Botschaft erschien zuerst in der Washington Post der nordamerikanischen Hauptstadt und in der Frankfurter Allgemeine Zeitung in Frankfurt/Main am 9. Dezember 1981, wo sie jeweils sechs Seiten einnahm; es folgten weitere 46 wichtige Zeitungen der westlichen Welt. Eine Zusammenfassung erschien in verschiedenen internationalen Ausgaben des Reader’s Digest sowie in 23 weiteren Presseorganen.
(4) Cf. Plinio Corrêa de Oliveira: Les têtes tombent, TFP, Paris 1981,

Drei Jahzehnte... 3. Teil

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 Zuerst erschienen in Plinio Corrêa de Oliveira

Montag, 21. November 2016

Drei Jahrzehnte unermüdlichen Kampfes für das katholische Litauen – 1. Teil


Bei seinem Kreuzzug für die Erneuerung der christlichen Zivilisation hat Plinio Corrêa de Oliveira mit großer Aufmerksamkeit die wechselvolle Entwicklung der litauischen Nation verfolgt, die zuerst vom Nationalsozialismus und dann vom Kommunismus ohne Erbarmen niedergetreten wurde. Als es die Umstände dann zuließen, hat sich der brasilianische Denker dann auch unverzüglich für die Sache der Unabhängigkeit Litauens eingesetzt.
Eine kurze Einführung in die Geschichte des Landes soll dazu beitragen, seine Rolle im Laufe der Ereignisse, die sich in den letzten Jahrzehnten abgespielt haben, sowie das besondere Interesse, das diesen der katholische brasilianische Denker geschenkt hat, besser zu verstehen. Dieses Interesse ist vor allem darauf zurückzuführen, dass es sich hier um eine katholische Nation handelt.

Aus dem Dunkel des Heidentums zu einem strahlenden christlichen Reich

Es ist eine ziemlich mühsame Arbeit, die den Historiker erwartet, der versucht, die Herkunft von Völkern erforschen, die in einer von Stammeskriegen erschütterten Zeit unter einem fast patriarchalischen Gesellschaftssystem und der Pflege heidnischer Bräuche lebten. Mit den Merkmalen arischer Rasse und einer mit dem Sanskrit verwandten Sprache, die noch deutlich archaische Züge trägt, hat das litauische Volk zwar seit grauer Vorzeit Spuren seines Daseins hinterlassen, jedoch lassen sich diese nur schwer mit Genauigkeit angeben.
Tatsächlich löst sich Litauen erst im 13. Jahrhundert endgültig aus den Nebelschleiern des Mittelalters und zeigt sich uns von nun an im Licht der Geschichte.
In dieser Epoche wandte sich der Deutsche Ritterorden, der seinen Sitz im polnischen Norden hatte, wo er das Land Ostpreußen geschaffen hatte, gegen Osten, um die Völker zu erobern, die an den östlichen Ufern der Ostsee siedelten. Dort lebten damals die Völker Litauens in einem Großfürstentum.
Als sich Großfürst Mindaugas bereit erklärte, die Taufe zu empfangen, sah Papst Innozenz IV. die Gelegenheit gekommen, die Litauer zum Christentum zu bekehren. Nach der Taufe Mindaugas’ und seiner Familie wies er den Bischof von Kulm an, ihn zum König von Litauen zu krönen. Scheinbar hat es Mindaugas bei seiner Bekehrung jedoch an Aufrichtigkeit gefehlt, denn er schwor später wieder dem Glauben ab und starb schließlich eines gewaltsamen Todes. Das Volk aber hielt weiterhin den heidnischen Göttern die Treue.
Unter der Herrschaft Gediminas’, des Gründers von Wilna und Eroberers weiter russischer Gebiete, die heute zu Weißrussland oder zur Ukraine gehören, erreichte das Großfürstentum Litauen große politische Bedeutung. 1323 äußerte Gediminas dann in einem Schreiben an den Papst den Wunsch, zum katholischen Glauben überzutreten. Er lud zudem die Franziskaner und Dominikaner ein, das Land zu missionieren. Unter dem ständigen Druck der Ritter des Deutschen Ordens verlegte sich Gediminas auf eine kluge Bündnispolitik mit verschiedenen Nachbarstaaten. Zum wichtigsten Partner wurde nun Polen, ein Land, das immer wieder unter den Einfällen der Preußen, der Tartaren und auch der Litauer selbst zu leiden hatte. König Wladyslaw Lokietek (1306-1333) vermochte fast ganz Polen wieder zu vereinen und gab die polnische Krone an seinen Sohn Kasimir III. den Großen (1333-1370) weiter. Gediminas, der sich mit Wladyslaw verbündet hatte, gab Kasimir seine Tochter Aldona zur Frau und schuf damit noch engere Beziehungen zwischen den beiden Herrscherhäusern.
Als Gediminas 1341 starb, erbten seine sieben Söhne das Großfürstentum. Unter diesen taten sich vor allem Algirdas und Kestutis als seine Nachfolger hervor. Vereint kämpften sie im Krieg gegen die Preußen. Algirdas starb 1377 als christlicher Mönch. Sein Nachfolger wurde sein zweiter Sohn Jogaila oder Jagiello. Im Gegensatz zur Freundschaft, die vorher seinen Vater und seinen Onkel verbunden hatte, verwickelte er sich in innere Auseinandersetzungen um die Fürstentümer Trakai und Wilna. Nach dem Abschluss eines Paktes mit dem Deutschen Orden ermordete Jagiello seinen Onkel Kestutis und nahm dessen Sohn Vytautas gefangen. 1392 wurde Vytautas jedoch von Anhängern Kestutis’ befreit und vom Adel des Landes zum Großfürsten Litauens gewählt. Der mit dem Beinamen der Große geehrte Vytautas trat zum katholischen Glauben über und wird noch heute von vielen als der eigentliche Begründer des litauischen Staates angesehen. An der Spitze eines verbündeten Heeres schlug er 1410 endgültig die Deutschordensritter und 1415 wurde er vom Konstanzer Konzil zum Oberbefehlshaber der Bündnistruppen im Kampf gegen die Türken ernannt.
Mit dem Tod Kasimirs des Großen war in Polen 1370 die Piasten-Dynastie erloschen. Die polnische Krone ging damit auf seinen Schwiegersohn Ladislaus aus dem ungarischen Königshaus über. Dieser gab 1386 Jagiello die Hand seiner Tochter Hedwig. Daraufhin bekehrte sich der litauische Fürst zum Christentum und bestieg nach seiner Taufe in Krakau den polnisch-litauischen Thron als Wladyslaw II. Er wurde damit zum Begründer des Herrscherhauses der Jagiellonen. Die beiden Länder bildeten von da an einen gemeinsamen Staat, behielten jedoch ihre je eigene Regierung. Die Bekehrung Jagiellos, der sich später mit seinem Vetter Vytautas versöhnte, trug entscheidend auch zur endgültigen Bekehrung Litauens zum katholischen Glauben bei. Einem Enkel Jagiellos und Hedwigs, Kasimir IV., wurde die Ehre der Altäre zuteil; als heiliger Kasimir ist er der Patron Litauens.
Die Dynnastie der Jagiellonen regierte bis 1572, während Litauen und Polen durch die wiederholte Ratifizierung der Personalunion noch bis 1795 vereinigt blieben. Mit dem allgemeinen Niedergang im 18. Jahrhundert verfiel auch diese Allianz. Und fast ganz Litauen kam nun 1795 unter russische Herrschaft. Die Litauer schlossen sich 1830 und 1863 den polnischen Aufständen gegen die Russen an, unter denen sie auch ihres katholischen Glaubens wegen härtesten Verfolgungen ausgesetzt waren.

Als Teil der „Nordwestlichen Provinzen“ büßte Litauen 1840 sogar seinen Namen ein. Besonders grausam war die 1863 von dem damaligen Gouverneur Muriaev  durchgeführte Unterdrückung.

Fortsetzung „Drei Jahrzehnte... 2. Teil

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 Zuerst erschienen in Plinio Corrêa de Oliveira

 


Sonntag, 30. Oktober 2016

Christus König!


Gute Gedanken haben die Eigenschaft, wenn sie angenommen werden, auf uns wie auf unseren Nächsten, wie Arzneimittel zu wirken. Wenn wir sie jedoch unserem geistigen Leben verweigern oder sie im Umgang mit unseren Nächsten verschweigen, werden sie, wie der hl. Paulus sagt, zu glühenden Kohlen, die uns ätzen und unsere Seele ausbrennen. Wehe denen, die gute Ratschläge erhalten haben, sie aber aus Feigheit oder Egoismus nicht befolgten. Wehe auch denen, die aus Feigheit oder Egoismus einen guten Rat verschwiegen haben, den sie hätten geben sollen. Diese heilsamen Ratschläge, die sie nicht äußerten, werden sie innerlich wie glühende Kohlen ausbrennen. Am Tage des Gerichts werden sie Rechenschaft ablegen müssen für nicht wahrgenommene Talente.
Das sind meine Überlegungen...
*    *   *
Wie viele Katholiken gibt es, die durch die Taufe zur Würde erhoben worden sind, Bürger des Reiches Gottes zu sein, die Texte der heiligen Liturgie begleiten und dort wunderbare Hinweise auf das Königtum Jesu Christi zu lesen, sie aber nicht verstehen. Wie viele Katholiken gibt es, die versuchen das Reich Christi auf Erden einzurichten, aber nicht wissen oder vergessen, dass sie es zuallererst in sich selbst einrichten müssen! Wie viele andere, die meinen das Reich Christi in sich selbst einrichten zu wollen, aber nicht den heißen Wunsch haben, es in die ganze Welt zu verbreiten! Mit anderen Worten, sind diese Katholiken nicht von der Sorte derer, die genau hören und verstehen, was die Kirche ihnen durch die Stimme der Päpste sagt, doch nur mit den Ohren des Leibes und nicht mit denen der Seele?
Die Lehre des Königtums Christi ist innig verbunden mit dem schönen und frommen Brauch der Thronerhebung des Heiligsten Herzen Jesu in unseren Wohnungen. Wenn das Bild des Herzen Jesu am schönsten und edelsten Platz unserer Wohnung aufgestellt wird, ist es doch gerade deshalb, weil er als König anerkannt wird. Wie viele Wohnungen gibt es jedoch, in denen das Herz Jesu auf den Thron erhoben wurde, aber in den Herzen der Bewohner nicht anzutreffen ist.
Es geht mir hier nicht darum, die schon so große Traurigkeit über diese Situation hochzutreiben und zu Unrecht das zu verachten, was es, trotz der erwähnten Mängel, an Schönem und Gutem an diesem Brauch gibt. Jeder Akt der Frömmigkeit und der Ehrerbietung gegenüber der Kirche Gottes, sei er auch noch so oberflächlich und unbedeutend, sollten wir mit großem Eifer schätzen, lieben und fördern, als ein Widerschein unserer Gottesliebe. Fern von uns also ein pharisäischer Pessimismus, der den Wert eines jeglichen aufrichtigen Akts der Frömmigkeit in Abrede stellt, wenn auch die Kälte oder die Unwissenheit ihren übernatürlichen Glanz trübt.
Doch unter diesem Vorbehalt bleibt die Tatsache, dass die Klage des Apostel Johannes auch heute noch Wahrheit ist: „In propria venit, et sui eum non receperunt“, „Er kam in sein Eigentum und die Seinigen nahmen ihn nicht auf“...
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Es ist nicht schwer die Lehre der Kirche über das Königtum Jesu Christi kennen zu lernen.
In seiner unendlichen Barmherzigkeit gefiel es Gott die unendliche Liebe, die er uns erweist, mit der Liebe zu vergleichen, die unsere Eltern zu uns haben. Das bedeutet nicht, dass er mit diesem Vergleich die unergründlichen Dimensionen seiner Liebe verminderte, um sie den geringen Ausmaßen der Liebe, zu der die Menschen fähig sind, anzupassen. Im Gegenteil: Wenn er sich diesem Vergleich der väterlichen Liebe bediente, war es, um uns verständlich zu machen, wie sehr Er uns liebt. Wenn wir dem Begriff „Vater“ den Sinn geben, den er in der natürlichen Ordnung hat, so ist Gott nicht nur unser Vater, sondern viel mehr als das, weil Er unser Schöpfer ist. Da aber in der natürlichen Ordnung die Rolle des Vaters nichts weiter ist, als mit Gott beim Schöpfungswerk mitzuwirken, wenn es also jemand verdient Vater genannt zu werden, so ist es Gott. Unser natürlicher Vater ist somit nichts weiter als der Treuhänder eines Teils der Vaterschaft, die Gott über uns ausübt.
Das gleiche ergibt sich mit dem Königtum Christi. Um uns die absolute Autorität, die Christus als Gott über uns ausübt, zu verstehen zu geben, gefiel es Ihm, sich mit einem König zu vergleichen. Da aber Könige durch Ihn regieren und ihre Autorität nur authentisch ist, weil sie von Ihm kommt, so ist in Wahrheit der einzige König, der König par excellence, nur Er. Alle Könige und Staatschefs sind nichts weiter als Seine demütigen Diener, dessen Er die Güte hat, sich ihrer in der Führung der Welt zu bedienen. Christus ist König, weil er Gott ist. Wir bezeichnen Ihn als König, um Seine göttliche Allmacht zu behaupten und unsere Pflicht Ihm zu gehorchen und zu folgen.
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Gehorsam! Dies ist ein Begriff, der ein wesentlicher Inhalt der Bedeutung des Königtums Unseres Herrn Jesus Christus ist. Christus ist König, und einem König schuldet man Gehorsam. Wenn wir das Fest Christus König feiern, feiern wir Seine Macht über uns und damit unsere Gehorsamspflicht Ihm gegenüber.
Wie bringt man einem König Gehorsam entgegen? Die Antwort ist einfach: Indem wir um seinen Willen wissen und diesen liebevoll und in allen Einzelheiten sorgfältig ausführen.
Die einzige Art also Christus König zu gehorchen, besteht darin Seinen Willen zu kennen und ihm zu folgen.
Aus diesem so klaren, einfachen, lichtreichen Verständnis ergibt sich ein ebenfalls klares, einfaches und lichtreiches Lebensprogramm.
Um den Willen Christ Königs zu kennen, müssen wir den Katechismus kennen. Denn durch das Lernen der göttlichen Gebote, welches nur vollständig sein wird mit dem Lernen der gesamten katholischen Lehre, sind wir in der Lage den Willen Gottes zu kennen. Und um diesem Willen zu folgen, müssen wir um die Gnade Gottes bitten durch Gebet, Empfang der Sakramente und unseren guten Werken. Letztlich werden wir den Willen Gottes erkennen durch das innerliche Leben: Geistige Lektüre, Betrachtung und ein Leben, das wir ganz im Licht des Katechismus führen.
Unser Herr sagte, „das Reich Gottes ist in euch“ (Lk 17,20). Dieses kleine Reich – klein in seinen Ausmaßen aber unendlich an Wert, denn es hat ja das kostbare Blut Christi gekostet –, muss ein jeder von uns für Jesus erobern, indem er alles zerstört, was sich im Innern der Befolgung Seiner Gebote widersetzt.
Schließlich, sind Christi Gebote nicht nur anzuwenden auf den einzelnen Menschen, sondern auch auf Völker und Nationen. Wenn die Völker und Nationen die Richtlinien der päpstlichen Enzykliken zur Kenntnis nehmen – die ja der Ausdruck des eigenen Willen Gottes sind –, und sie in der hauseigenen, sozialen und politischen Gestaltung umsetzen, dann wird Christus König sein.
Mit anderen Worten: Seien wir gute Katholiken! Wenn wir das sind, werden wir unbedingt Apostel, und als solche unbedingt Soldaten Christi sein.

(Freie Übersetzung aus Legionário, Nr. 372, 29. Oktober 1939)

Montag, 3. Oktober 2016

Plinio Corrêa de Oliveira: Ein Kontemplativer

     Plinio Corrêa de Oliveira wird zumeist dargestellt als ein Mann der Tat, was auch zutrifft. Doch kommt damit nicht so recht das hervor, was, meiner Meinung nach, die Quelle war, aus der die Grundlage seines unermüdlichen Kampfes für die Erhaltung der Schätze der christlichen Kultur und Zivilisation entsprang. Dieser Kampfesgeist nährte sich aus einem tiefen geistlichen Leben der Kontemplation und des Gebets. Mitten in den Wirren dieses Kampfes, während der intensiven täglichen Aktivitäten, denen er sich in der Regel bis Nachts um drei Uhr widmete, war er ein ständiger Kontemplativer.
     Prof. Roberto de Mattei, beschreibt in seinem prächtigen Buch „Der Kreuzritter des zwanzigsten Jahrhunderts“ ausführlich die Persönlichkeit und die vielfältigen und endlosen Kämpfe für die Kirche, der Dr. Plinio (wie er in Brasilien gewohnheitsmäßig genannt wird) sein ganzes Leben gewidmet hat. Der Titel des Buches sagt bereits alles: er war ein kämpfender Kreuzritter für die christliche Zivilisation. Sein Kampf in der weltlichen Gesellschaft führte er im Namen des Kreuzes.

„Rette mich, Königin“

     In meinen achtzehn langen Jahren, in denen ich die Gnade hatte ihn als Privatsekretär zu dienen, habe ich in unzähligen Kleinigkeiten des täglichen Lebens beobachten können, wie das Gebet und die Betrachtung sein Leben ausfüllten, ohne jemals den Impuls des gegenrevolutionären Kampfes zu mindern.

     Anzumerken ist, dass seine Frömmigkeit seit seiner Kindheit vorherrschend Marianisch geprägt war.
     Während seiner Kindheit begleitete er seine Mutter, Da. Lucília Ribeiro dos Santos Corrêa de Oliveira, zur Kirche des Heiligsten Herzen Jesu, die zum Lyzeum der Salesianer Don Boscos gehörte und zugleich Pfarrkirche war. Da. Lucília pflegte mit einem besonderen Eifer die Verehrung des Heiligsten Herzens Jesu, und so verweilten beide für längere Zeiten am Fuße der schönen und großen Herz-Jesu Statue, die in dieser Kirche verehrt wird. Auch in Dr. Plinio wuchs diese tiefe Andacht zum Herzen Jesu und er wandte sich als vierjähriger an Jesus, wie ein Kind sich mit ihm unterhalten würde.
     Als er ungefähr zwölf Jahre alt war, erlebte Dr. Plinio eine geistige Bedrängnis, bei der er sich unwürdig fühlte, sich der Statue zu nähern. Niedergeschlagen und trostlos stand er da im hinteren Teil der Kirche. Dann ging er durch das rechte Kirchenschiff, wo vorne auf einem Altar eine Statue der Mutter Gottes Helferin der Christen stand. Dort begann er das „Salve Regina“ zu beten. Aber in seinen jungen Jahren verstand er die Anrufung „Salve“ nicht als ein Grußwort, sondern meinte es bedeute „salvai-me“ = rette mich auf portugiesisch, also „Rette mich, o Königin“. Und dieses Gebet gab ihm einen großen inneren Trost. Es schien ihm, als ob die Mutter Gottes ihm zulächelte. Bei der nächsten Anrufung dieses schönen Gebets, „Mutter der Barmherzigkeit“, dachte er: „Aber, das ist ja genau das, was ich brauche!“. Und anschließend: „unser Leben, unsere Wonne, unsere Hoffnung, sei gegrüßt“ (hier wieder „rette mich“): Alles schien seinen Bedürfnissen zu entsprechen. „Zu dir rufen wir, verbannte Kinder Evas, zu dir seufzen wir, trauernd und weinend in diesem Tal der Tränen“: Es konnte wirklich nicht angemessener sein, folgerte er. „O gütige, o milde, o süße Jungfrau Maria.“
     Dieses Ereignis hatte sein ganzes Leben geprägt. Noch in hohem Alter sagte er, dass dies die Grundlage und das Fundament seiner Verehrung der allerseligsten Jungfrau war. Häufig besuchte er an Nachmittagen diese Statue.

Geistige Sammlung


     Mehr als eine Stunde widmete Dr. Plinio des Nachmittags dem Gebet, zusätzlich zu den Gebeten, die er in der Früh verrichtete, am Abend und während der Danksagung nach der täglichen heiligen Kommunion.

     Sein Tag begann mit der Verrichtung verschiedener Gebete während etwa fünfzehn Minuten. Es waren Gebete, die er im Laufe seines Lebens aufnahm und denen er nach Bedarf neue hinzufügte und sein Leben lang beibehielt. Seiner Ansicht nach dürfe man, ein einmal an die Mutter Gottes gerichtetes Gebet, dieses nicht mehr auslassen. Also, außer in einigen besonderen Fällen, wenn er einmal ein persönliches Gebet in der Liste seiner besonderen Gebete aufgenommen hatte, würde er es bis zum Ende seiner Tage beibehalten.
     Täglich gewohnte er seine Gebete in einem Auto auf dem Weg zu einer Kirche zu beten, wo er sich sammeln konnte. In einer Zeit, als Mobiltelefone noch eine Seltenheit waren, entkam er auf diese Weise den Unterbrechungen und Besorgnissen, die ihn von dem Gebet ablenken konnten. Schon als er im Wagen einstieg, änderte sich sein Gesichtsausdruck, und begann gleich mit einer langen Liste von Gebeten, unter denen die Weihe an Maria nach der Formel des hl. Ludwig Grignion von Monfort, die er täglich erneuerte. Die Psalmen des Namens Mariens, das Kleine Stundengebet der Mutter Gottes, Dauernovenen, Gebete für den Heiligen Vater, Stoßgebete-Rosenkranz und viele andere verrichtete er mit bemerkenswerter Andacht.

Die Seele eines jeden Apostolats

     Drei Andachten waren der Kern seines Gebetslebens. Sie werden gewöhnlich „die weißen Andachten“ genannt: Die Verehrung der Eucharistie, die Verehrung der Jungfrau Maria und die Verehrung des Stellvertreters Christi auf Erden.

     Großen Einfluss auf sein inneres Leben hatte das Buch „Die Seele eines jeden Apostolats“ (auch „Die Innerlichkeit“ genannt) von Dom Jean Baptiste Chautard (1858-1935). Dieser berühmte Trappistenmönch behauptet in seinem Werk, um die Arbeit des Apostolats voranzutreiben, sei es notwendig, vor allem ein tiefes und erfülltes geistliches Leben zu pflegen. Dieses Buch hat Dr. Plinio gelesen, nachdem er schon in die marianische Bewegung eingetreten war. Es gab ihm dann aber die Überzeugung, dass es nicht genügt, die Zehn Gebote zu befolgen und einige Gebete zu verrichten, sondern dass es notwendig sei, heilig zu sein, um im Kampf gegen einen so großen und mächtigen Feind, wie er sich schon damals darstellte, zu siegen.
     Deshalb machte er diesen Kommentar: „Wie (kann ich) rekrutieren, wie (kann ich andere) anziehen, wie die Begeisterung in den Seelen der anderen wecken? Hinter all diesem gibt es ein Geheimnis. Gerade weil diese Ziele auf den ersten Blick unerreichbar sind, kann man sie nur durch ein Geheimnis erreichen. Und dies ist eben das Geheimnis des übernatürlichen Lebens der Gnade, und alles weitere, was Dom Chautard lehrt, ist wirklich die Seele eines jeden Apostolats. Wenn die Seele mit diesem Geist durchdrungen ist, ist sie flehentlich und resigniert, denn sie fleht und bittet und ist zugleich bereit, das ganze Hin und Her des Kampfes zu durchschreiten und bereit sich damit abzufinden, nicht sofortige Erfolge zu sehen.“

Die Erhebung des Geistes zu Gott

     Was mich am meisten beeindruckte, war die Fähigkeit von Dr. Plinio in allen Beschäftigungen seinen Geist zu metaphysischen Themen zu erheben, und von dort zum Übernatürlichen. „Elevatio mentis a Deo“ ist ja genau die Definition des Gebets.

     Sei es in Konferenzen über politische und soziale Themen, sei es in der Erledigung der täglichen Korrespondenz, sei es in unzähligen Versammlungen, in denen er Themen der weltlichen Gesellschaft behandelte, alles verband er mit Religion, mit der Mutter Gottes und der Heiligen Kirche.
     Hier ein Beispiel: Mitte der 70er Jahre, leitete Dr. Plinio eine Versammlung, in der ein sehr konkretes Problem erörtert wurde. An einem Punkt der Diskussion des Themas stiegen seine Kommentare hinauf zu hohen Betrachtungen. Man fragte ihn anschließend, wie er das fertig bringe. Er sagte, die Frage müsste eine andere sein: Wie kann man betrachtend, so einfach mit praktischen Dingen umgehen? Und fügte hinzu: Ohne die hohen Ebenen der Kontemplation zu verlassen, analysiere er von dort aus die geringsten Ereignisse. Es sei so, wie es einige Vögel tun, die hoch hinauf fliegen, um ihre Beute zu sichten und kommen dann im Sturzflug auf hernieder, sie zu ergreifen. Wie eine Seemöwe, zum Beispiel, die den gesichteten Fisch schnappt, der ruhig im Wasser umherschwamm.
     Unsere Schwierigkeit mit dieser Eigenschaft Dr. Plinios war, etwas zu verstehen, was in Wirklichkeit für uns das Gegenteil von dem war, was wir annahmen, was in seinem Geist vor sich ging. Man könnte also sagen, dass sich sein Geist in einem ständigen Wechselspiel zwischen dem Zeitlichen, dem Metaphysischen und dem Geistigen befand. Dies erlaubte ihm, sich um von einem Feld zum anderen zu bewegen, mit einer ganz natürlichen Leichtigkeit und Behendigkeit.

Hingabe zum Christentum

     Als Einführung des Buches über die fünfzig Jahre Tätigkeiten der TFP (Meio século de epopéia anticomunista) wollte Dr. Plinio einen Satz mit hinein bringen, der seine Hingabe zur Kontemplation und den Verzicht auf weltliche Größe bezeugen sollte: „Als ich noch sehr jung war, betrachtete ich hingerissen die Ruinen der Christenheit. An sie hängte ich mein Herz. Dem Künftigen kehrte ich den Rücken zu und machte aus jener segensreichen Vergangenheit meine Zukunft ...“ Es war also eine betrachtende Erwägung, die ihn dazu führte, sich den Ruinen der Christenheit hinzugeben und auf eine glänzende politische, soziale und wirtschaftliche Zukunft zu verzichten. „Ruinen der Christenheit“, „segensreiche Vergangenheit“. Auch hier finden wir, das Weltliche und das Geistliche, die sich wie zwei Pfeiler eines gotischen Spitzbogens vereinen. Diese Einheit war seine ständige Sichtweise der Dinge und in der er sozusagen lebte.

     In dem unerbittlichen gegenrevolutionären Kampf, den er führte, in dem von Arbeit ausgefüllten Tag, die sich gewöhnlich bis spät in die Nacht hinauszog, verlor er nie, das, was Dom Chautard die "Wachsamkeit des Herzens" nannte. Nichts, aber auch gar nichts konnte ihn aus der übernatürlichen und kontemplativen Ruhe bringen: sei es Vorbereitung von öffentlichen Aktionen oder beratende Gespräche mit seinen Vertretern in den verschiedensten Teilen Brasiliens oder mit Vertretern der ausländischen TFPs, oder die geistige Führung seiner Jünger.

Ruhe im Getose des Kampfes

     Betrachtung, Gelassenheit, Andacht - waren die Früchte der hohen Gefilde, in denen sich der Geist Dr. Plinios aufhielt. In Mitten der Stürme, die die Feinde der Kirche so oft gegen sein Werk auslösten, pflegte er zu sagen: „Alios ego vidi ventos, alias prospexi animo procellas“ - Schon andere Winde habe ich gesehen und anderen Stürmen getrotzt -. Und sein Büro, wo sich der tosende Kampf abspielte, war ein Ort der Ruhe und Geborgenheit.

     Während er die TFP mit ihren Verzweigungen in 26 Ländern leitete, sich informierte, seine Meinung über nationale und internationale Ereignisse bekannt gab und ein intensives öffentliches Leben führte, verlor er nie die Haltung der übernatürlichen Kontemplation, die ihn sein ganzes Leben begleitete. Er pflegte zu sagen, der Großteil seiner Zeit war der Besinnung gewidmet, und der gegenrevolutionäre Kampf war eine Konsequenz davon. Im Besitz eines sehr ruhigen Temperaments - und sogar, wie er selbst sagte, in seiner Kindheit mit einer Tendenz zur Trägheit - wusste er sich selbst zu besiegen und ist so zum großen Kämpfer der Gegenrevolution des zwanzigsten Jahrhunderts geworden.

„Urlicht“

     Mitte der sechziger Jahre erklärte er seinen Jüngern, was im alltäglichen Sprachgebrauch er unter "ursprüngliches Licht" oder, nennen wir es so, „das Urlicht“, verstand. Dieser Ausdruck ging in den spirituellen Wortschatz der TFP über und definierte das in der Taufe von Gott geschenkte Licht, unter dessen Strahl jeder Mensch berufen ist, die Welt zu betrachten und Gott zu bewundern, anzubeten und zu verherrlichen. Sein eigenes „Urlicht“ beschrieb Dr. Plinio folgendermaßen: „Es ist eine liebende Schau der ganzen Ordnung des Universums; eine harmonische, architektonische, hierarchische und monarchisch-aristokratische Sicht der ganzen Schöpfung, von einem Engel bis zu einem Sandkorn, in der die Eigenschaften, die von der Revolution am meisten bekämpft werden, hervorragen.“

     Verweilen wir hier ein wenig und betrachten wir die Einzelheiten dieser Definition. „Liebende Schau“: von hier aus geht er direkt zur Pflege des ersten Gebotes, Gott lieben über alles durch seine Schöpfung. „Der ganzen Ordnung des Universums“: das heißt, diese Liebe umfasst alle Geschöpfe. „Harmonische, architektonische“: eine Ordnung, in der alles sich auf den rechten angebrachten Platz befindet und die Harmonie des Universums bildet. „Hierarchische und monarchisch-aristokratische“: nicht nur von der höchsten Warte aus betrachtet, sondern auch in allen unterliegenden Ebenen. „Von einem Engel bis zu einem Sandkorn“: das heißt, von der gesamten Schöpfung, vom höchsten geistigen Erschaffenen bis zum niedrigsten materiellen. „In der die Eigenschaften, die von der Revolution am meisten bekämpft werden, hervorragen“: hier finden wir die wunderbare Vereinigung von Kontemplation und Kampfesgeist, die er bis zum äußersten durchführte. Es fängt mit der in der Schöpfung reflektierenden Liebe Gottes an und geht bis zum Kampf gegen die Mächte Satans, die die Revolution vorantreiben, um gerade diese Ordnung zu zerstören. Ein außerordentliches Lebensprogramm.

Sakralisierung (Heiligung) des sozialen Lebens

      Die Gedankenwelt Dr. Plinios befand sich in Betrachtungen über das Paradies (coelum empirium), über die Möglichkeiten Gottes (welche Geschöpfe Er in Seiner Allmacht und Vollkommenheit noch hätte erschaffen können), über die drei Personen der göttlichen Dreifaltigkeit und viele andere Themen, ohne jemals den Sinn der Wirklichkeit zu verlieren, in der er sich befand und handelte. Es waren keine unnützige und sterile Träumereien oder Phantasien, der er sich hingab, sondern eine Bemühung sich ständig in den Anliegen Gottes zu vertiefen. Aus diesen Gedanken holte er stets neue Erkenntnisse, die seine Gesprächsrunden, Versammlungen und Vorträge bereicherten.

     Aus der Liturgie der Ostervigil z.B. entnahm er einen Begriff, den er für die weltliche Ordnung anwendete. Wenn der Priester mit der Osterkerze in die dunkle Kirche eintritt, singt er dreimal „Lumen Christi“. Dies bezieht sich auf den auferstandenen Heiland, der der in der Finsternis liegenden Welt nun das Licht der Erlösung bringt. Daraus zog er eine Analogie zur heutigen von der Revolution verdunkelten Welt: Wie steht es heute um das „Lumen Christi“ in der Welt, in der Kirche? Wie entwickelt sich heute der Kampf zwischen die Macht der Finsternis und dem Lichte Christi? Dies war ein grundsätzlicher Aspekt in der Analyse der weltlichen Gesellschaft und ihren Lauf durch die Zeit.
     Er nahm sich vor jeden Augenblick des Tagesablaufs zu heiligen. Da er normalerweise bis spät in die Nacht arbeitete, fragte er sich, warum sollte es nicht für Mitternacht ein Gebet geben, das dem "Engel des Herren" entspricht. So betete er oft den "Engel des Herren" in dieser letzten Stunde des Tages oder er betete dreimal das Bittgebet aus dem Te Deum zur Muttergottes: „Dignare, Mater, die isto“ worauf die Anwesenden antworteten: „sine peccato nos custodire“.
     Vor dem Schlafengehen, verrichtete er noch verschiedene Gebete, verehrte die Reliquien, die auf dem Nachttisch aufbewahrt waren und widmete sich noch der Lektüre meistens über Themen der Geschichte. Geschichte faszinierte ihn; sie gab ihm Gelegenheit zur Betrachtung der Psycho-Soziologie, über Menschen, Persönlichkeiten und Ereignisse, sowie über die sich in der Geschichte reflektierende von Gott eingesetzte Ordnung des Universums.
Fernando Antunez

(Aus "Plinio Corrêa de Oliveira, dez anos depois ..." - São Paulo 2005 - Freie Übersetzung BH)

Donnerstag, 15. September 2016

Die Europäische Föderation im Licht der katholischen Lehre

Plinio Corrêa de Oliveira  (zugeschrieben)

Eines der wichtigsten Ereignisse in diesem (20.) Jahrhundert ist ohne Zweifel das Treffen von Paris, bei dem die Vertreter von Frankreich, Italien, West-Deutschland und die kleineren Staaten der Benelux-Gruppe - Belgien, Niederlande und Luxemburg - die Bildung der Europäischen Union beschlossen haben, als eine Einrichtung des Öffentlichen Internationalen Rechts und folglich der Einrichtung einer neben den nationalen Regierungen zusätzlichen gemeinsamen Regierung mit überstrukturellen Charakter.

Vor dem letzten Weltkrieg würde jemand, der solch einen Plan für das 21. Jahrhundert vorgeschlagen hätte, als Träumer gehalten und als Schwachsinniger, wenn er diesen Plan in unseren Tagen für durchführbar hielte.

Europa stand damals noch unter dem Feuer der französisch-deutschen Feindschaft, die aus dem Konflikt von 1914-1918 hervorging und eine wichtige Rolle spielte für den Ausbruch des Krieges 1939-1945. Es schien, dass alle europäischen Länder, die im eigenen kulturellen und wirtschaftlichen Leben strahlten, aber doch gezeichnet von den Ressentiments, dem Ehrgeiz, den Feindseligkeiten der modernen Zeiten, es für unmöglich hielten, in einem einzigen politischen System, so vage und locker es auch sein würde, eingereiht zu werden.

Die Tragödie des 2. Weltkrieges und der daraus folgende wirtschaftliche Zusammenbruch der europäischen Länder, ihr ermüdetes kulturelle Leben und das Risiko - dass nun schon sieben Jahre andauert - einer neuen Invasion von Barbaren schufen günstige Bedingungen für die Verbreitung der Einheitsidee und rückten den Plan einer Europäischen Föderation in greifbarer Nähe.

Die Tragweite der Gründung der Vereinigten Staaten von Europa

Die wirkliche Tragweite der Bildung der Vereinigten Staaten von Europa wurde vom Premierminister Italiens, Alcide de Gasperi, klar definiert, als er dieses Geschehen mit dem Akt der englischen Kolonien in Nordamerika durch welchen sie sich vereinten, um eine Föderation zu bilden, und dem Verzicht der Schweizer Kantone eine Sammlung souveräner Staaten zu sein, um einen Föderalen Staat zu bilden, verglich. Das amerikanische Beispiel ist zur Genüge bekannt. Man weiß, das England dreizehn vollständig unter sich unabhängige Kolonien in Amerika hatte, die jeweils eine direkte Verbindung zur Metropole hatten. Als sie die Unabhängigkeit gegenüber England ausriefen, sollten sie dreizehn verschiedene Nationen bilden. Doch diese Kolonien zogen vor, sich zu einer einzigen föderativen Nation zusammenzuschließen. Weniger bekannt, doch ebenso von Bedeutung, ist das Schweizer Beispiel. Als nach dem endgültigen Fall Napoleons im Jahre 1815 der Wiener Kongress die europäische Landkarte reorganisierte, machte er aus der Schweiz, die aus einer Vielzahl kleiner unabhängiger Kantone bestand und jeweils von einer herrschenden Klasse - Patrizier oder Landaristokratie - regiert wurden, eine Konföderation von 22 Kantonen, die unter sich unabhängig waren, nur verbunden durch eine "Föderalen Pakt", der letztendlich nichts mehr war als ein Vertrag der Allianz und guter Nachbarschaft. Die Schweiz blieb weiterhin also kein Staat sondern eine Ansammlung von Staaten. Dieser Zustand endete nur als, nach heftigen Kämpfen, durch welche, die lokalen Eliten die Zentralisierung und die im "Sonderbund" vereinten Katholiken die protestantische Hegemonie verhindern wollten, und aus denen die Befürworter eines Schweizer Staates obsiegten. Daraus wurde die Schweizerische Verfassung von 1843 geboren. Diese hob die Kantone mit ihren eigenen Regierungen nicht auf und übertrug in die Hände einer zentralen föderativen Regierung die allgemeinen Interessen aller (wie im Fall der amerikanischen oder auch der brasilianischen Staaten). Die heutige Schweizer Republik war somit gegründet.

In beiden Prozessen, dem amerikanischen und dem schweizerischen, gab es also einen Weg von der Unabhängigkeit zur Bildung einer Föderation. Die vormals unabhängigen Staaten wurden zu autonomen Teilstaaten, deren Souveränität von einer zentralen Regierung übernommen wurde.

Dies ist, nach den deutlichen Worten des italienischen Premiers, was nun für Europa beschlossen wurde. Zwischen Frankreich und Deutschland, Italien und Holland usw. wird es künftig nicht mehr die bis heute bestehenden Kluften geben, sondern nur die Grenzlinie der fast ausschließlich administrativen Interessen, so wie sie zwischen Ohio und Massachusets, Rio und São Paulo oder Luzern und Freiburg existieren.

Wie man sieht, handelt es sich um ein enormes Ereignis. Es sind Nationen, die verschwinden werden, nachdem sie die Welt und die Geschichte mit der Ausstrahlung ihres Ruhmes ausgeschmückt hatten... und ein neuer Bundesstaat der erscheint, dessen Zukunft nicht leicht vorausgesehen werden kann.

Die Durchführbarkeit des Plans

Das erste Hindernis zur vollständigen Verwirklichung dieses Planes - der vorerst nur auf dem Papier steht, wie die Bildung eines Atlantischen Heeres und dergleichen - besteht in einem wahrscheinlichen Weltkrieg. Niemand kann vorhersehen was mit dieser keimenden Föderation während und nach einem Krieg geschehen wird. Sie kann sich sowohl endgültig festigen als auch im Feuergefecht verbrennen, so dass nicht einmal Spuren ihrer Asche übrigbleiben.

Selbst wenn wir den Fall eines Krieges ausschließen, werden andere Schwierigkeiten auftreten. Eine Föderation, die versucht mit einen Schwamm so viele Jahrhunderte der Geschichte zu verwischen, kann offensichtlich nicht nur von einer Gruppe von Politikern und Bürokraten durch die Unterzeichnung eines Vertrags aufgebaut werden. Eine lange Zeit der Werbung bei den verbündeten Völkern ist notwendig, um in ihnen das Bewusstsein zu bilden, dass über den nationalen Blöcken, in denen sie sich durch Bindungen, die im Blute stecken und leicht auszumachen sind, integriert fühlen, ein abstraktes föderatives Ganzes schwebt, dass nicht im Blut steckt, sondern nur in der Tinte, mit der der Vertrag geschrieben und unterschrieben wurde. Solange sich dieses Bewusstsein nicht gebildet hat, ist klar, dass dieser neuer Organismus noch nicht begonnen hat, natürliches und reales Leben zu besitzen. Doch nicht hier befindet sich die wirkliche Schwierigkeit. Der entpersonifizierte, geschwächte, durch das gegenwärtige Durcheinander orientierungslose Mensch, der in einer geistigen Abhängigkeit - der er sich genussvoll hingibt - von Presse, Radio und Fernsehen lebt, kann leicht zu allem Möglichen überzeugt werden. Es gibt "Techniker", die im Geist dieses Menschen ein "Bewusstsein" für reale und unreale Dinge fabrizieren, die tatsächlich nie in der öffentlichen Meinung zugegen waren, mit der Gewandtheit eines Chirurgen, der in einem menschlichen Körper ein Stück Fleisch, ein Finger oder ein Auge einpflanzt, die ihm bis dann total fremd waren. Die Gefahr besteht viel mehr in der Bildung nationalistischer Strömungen in einigen Staaten der Föderation. Aber auch dies scheint wenig Aussicht zu haben. Eine Menschheit, die Tag für Tag gieriger nach Konsum, Ruhe und Lustbarkeiten greift, ist nicht geneigt sich über sich selbst zu begeistern, zugunsten von Nationalismen welcher Art auch immer ...

So zeigt sich also, um unseren Eindruck zusammenzufassen, dass, ausgenommen im Falle eines Krieges, kein natürlicher Faktor die Bildung der Föderation aufhalten könnte. Um so mehr, da ihre Erbauer schon offiziell erklärt haben, dass sie Schritt um Schritt vorgehen werden, um nach und nach die Teile des neuen Organismus zusammenzufügen, klugerweise beginnend mit dem Grundstein.

Ist die Föderation etwas Neues?

Die Frage, ob die Föderation etwas Neues ist, muss ohne weiteres negativ beantwortet werden. In früheren Zeiten bildete Europa schon ein großes Ganzes föderaler Natur, in einem sehr erweiterten und allgemeinen Sinn des Wortes.

Im Jahr 476 erlosch das abendländische Römische Reich. Von Barbaren überzogen, gab es in Europa keine definierte Saaten mit dauerhaften Grenzen. Es war ein allgemein wildes Treiben, das sich nur besänftigte als die fortschreitende Tätigkeit der großen Missionare das üppige Keimen des Samens des Evangeliums sicherstellte. Zu dieser Zeit, da die Sitten und Gebräuche an Rohheit abgenommen hatten, das Leben sicherer und ruhiger geworden war, das allgemeine Wissen sich entwickelte und ausbreitete, bildete sich eine große Ansammlung christlicher Völker, die sich über ihre natürlichen Unterschiede hinaus durch zwei gemeinsame und tiefe Bande vereint fühlten, die aus einer großen Liebe und einer großen Gefahr entsprungen sind:

a) - aufrichtig und tief christlich, beteten sie in Geist und Wahrheit (und nicht nur gewohnheitsmäßig) Unseren Herrn Jesus Christus an, liebten und wollten wirklich seine Gebote halten und waren ihrer Aufgabe überzeugt, d.h., die Herrschaft dieser Gebote bis an die letzten Grenzen der Erde auszubreiten;

b) - als Frucht dieses folgerichtigen und starken Glaubens herrschte im Geiste aller eine gleiche Art den Menschen, die Familie, das gesellschaftliche Leben, Schmerz und Freude, Ruhm und Demut, Unschuld und Sünde, Reue und Vergebung, Reichtum, Macht, Adel, Mut, kurz, das ganze menschliche Leben zu verstehen.

c) - daraus ergab sich eine kräftige und substantielle Einheit in Kultur und Zivilisation, trotz der lokalen reichhaltigen Verschiedenheiten der einzelnen Nationen, Regionen, Lehen oder Städte;

d) - vor dem doppelten Druck der Sarazenen aus Afrika und den Heiden aus dem Osten Europas das Wissen gemeinsam einer großen Gefahr ausgesetzt zu sein, bei der alle allen zur Seite stehen mussten, um einen Sieg zu erringen, der ein Sieg aller sein würde.

Die Gesamtheit dieser Faktoren der Einheit fand in Karl dem Großem (742-814) ihren mächtigen Katalysator. Er war in den Augen seiner Zeitgenossen der ideale Typus eines christlichen Souveräns: stark, mutig, weise, gerecht, väterlich, mit einem tiefen Streben nach Frieden, dadurch unbesiegt im Kampfe, der es als seine höchste Aufgabe ansah, die Macht des Staates im Dienste der Kirche zu stellen, um das Gesetz Christi in seinem Reich aufrechtzuerhalten und die Christenheit gegen ihre Angreifer zu schützen. Dieses lebende Symbol verwirklichte seine vorgenommenen Ideale, und als Papst Leo III. im Jahre 800 ihn in der Lateranbasilika zum Römischen Kaiser des Abendlandes krönte, setzte er dem Werk Karls des Großen den schönsten Schlussstein auf: Ein großes Reich, das das gesamte christliche Europa umfasste, war gegründet. Ein Reich, das vor allem berufen war, den christlichen Glauben zu erhalten, zu verteidigen und zu verbreiten.

Dieses Reich währte von 809 bis 911. Im Jahre 962 erweckte es Kaiser Otto, der Große, wieder und begründete das Heilige Römische Reich Deutscher Nation. Unter vielen Schicksalsschlägen, deren schrecklichster die tragischen Spaltung durch den Protestantismus und das Aufkommen nationalistischer Tendenzen im 16. Jahrhundert, bestand diese große Institution zumindest theoretisch bis 1806, als Napoleon den letzten römisch-deutschen Kaiser, Franz II., zwang, die Auflösung des Heiligen Reiches zu akzeptieren und den Titel eines Kaisers von Österreich unter dem Namen Franz I. anzunehmen.

Trotz etlicher Krisenperioden durchzog das Heilige Römische Reich Zeiten großen Ruhmes. Seine Struktur diente tatsächlich, um das christliche Ideal einer großen Völkerfamilie auszudrücken, vereint unter dem mütterlichen Schatten der Kirche, um den Frieden, den Glauben und die Sitten zu sichern, um die Christenheit zu beschützen und in der ganzen Welt die freie Verkündigung des Evangeliums zu unterstützen.



Karl der Große, von Albrecht Dürer. Der bekannte deutsche Maler hat mit wunderbarer Deutlichkeit den großen Kaiser dargestellt, wie ihn uns die Geschichte vorstellt: Seine Haltung strahlt Kraft, Macht und Herrschaft aus. Eine Kraft, die aber nicht aus dem Überfluss eines hitzigen Temperaments kommt, sondern von einem tiefen Bewusstsein für das Rechts des Guten. Seine Macht ruht weniger auf die der Waffen denn auf die des Geistes. Majestätisch, doch voll der Güte. In seinem ganzen Wesen vernimmt man etwas heiliges: Er ist der von Gott gesandte, der das Reich Christi in der weltlichen Ordnung errichtete und den Grundstein der christlichen Zivilisation legte. Er ist der vom Papst eingesetzte Imperator, versehen mit der apostolischen Aufgabe der Verteidigung und dem Schutz des Glaubens.
Karl der Große verwirklichte als erster die staatliche Einheit Europas.





Was soll man über die Europäische Föderation denken?

Man sieht, das die Kirche prinzipiell sich nicht darauf beschränkte große internationale Strukturen zu erlauben, sondern sie auch von ganzen Herzen fördert, wenn sie sich ein legitimes Ziel setzen. In seinem Wesen also, verdient der Gedanke, die europäischen Völker zu einer gut erbauten politischen Einheit zusammenzuführen, Zuspruch.

Es scheint, das die derzeitigen Gegebenheiten dieses Vorhaben als zweckmäßig zu betrachten. Angesichts eines gemeinsamen externen Feindes und im Clinch mit einer internationalen wirtschaftlichen Krise, könnte nichts gerechter und empfehlenswerter sein, als der Zusammenschluss der Länder des freien Europas, um zu kämpfen und zu siegen.

Doch diese Idee prinzipiell gutzuheißen, ist eine Sache. Eine andere ist, sie bedingungslos unter welchen praktischen Umsetzungen auch immer zu billigen. Zu solch einer Bedingungslosigkeit darf es nicht kommen.

Wir leben in einer Epoche von gewaltiger Verstaatlichungen. Alles wird zentralisiert, geplant, verkünstelt und tyrannisiert. Sollte die Europäische Föderation diesen Weg einschlagen, wird sie von den weisen Worten Papst Pius XII. abweichen, die er an die Leiter der internationalen Bewegung für eine Weltföderation richtete.

Vor allem müssen wir zu verstehen geben, dass die Kirche gegen das Verschwinden so vieler Nationen ist, um einen einzigen Block zu bilden. Jedes Land kann und soll in einer übernationalen Struktur lebendig und definiert bleiben, mit seinen Grenzen, Territorium, Regierung, Sprache, Bräuche und Sitten, Gesetzen und ihrer Eigenart. Ein Redaktionsmitglied dieser Zeitung hatte schon Gelegenheit diese Prinzipien zu erläutern mit den Kommentaren zur oben erwähnten Ansprache Pius XII. Deutschland ist eine Nation, Frankreich eine andere, Italien eine andere. Wenn jemand sie zusammenschmelzen wollte, wie man in einem Schmelztiegel kostbare Schmuckstücke wirft, um sie zu einem nichtssagenden und gewöhnlichen Goldbarren zu machen, der würde bestimmt nicht nach dem Plane Gottes handeln, der eine natürliche Ordnung erschaffen hat, in der jede Nation eine unzerstörbare Wirklichkeit bildet. Wenn also die Europäische Föderation diesen Weg einschlagen würde, wäre es eher ein Übel denn etwas Gutes. Sie muss die Schützerin der nationalen Unabhängigkeiten und nicht eine alles verschluckende Hydra sein. Die föderale Autorität sollte da sein, um die Tätigkeiten der nationalen Regierungen in gewisse Angelegenheiten überstaatlicher Interessen zu ergänzen, doch niemals um sie auszuschalten. Ihre Tätigkeit darf nie die Absicht haben, die nationalen geistigen und kulturellen Eigenschaften zu unterdrücken, doch eher sie nach Möglichkeit zu stärken. So wie es im Heiligen Römischen Reich war, wo sich jede Nation im Rahmen der legitimen und allgemeinen Interessen der Christenheit entwickeln konnte, gemäß ihrer Eigenart, Fähigkeit, Bedingungen, Umgebung etc.

Auf der anderen Seite darf die Wirtschaftliche Struktur nicht einer derartigen Planung unterworfen werden, dass sie in eine super Sozialisierung hineingezogen wird. Wenn der Sozialismus ein Übel ist, dann ist seine Umsetzung in eine staatliche Planungsmanier ein noch größeres Übel. Im Heiligen Römischen Reich, das durchdrungen war von Feudalismus, eines gesunden Regionalismus, von städtischer Selbständigkeit, der Selbständigkeit der Innungen, Universitäten usw., erschien diese Gefahr mit den Legisten, die den Samen des modernen Sozialismus verbreiteten. Doch die Legisten waren immer ein Auswuchs in der Christenheit und ihr Einfluss traf zusammen mit dem Niedergang des wahren christlichen Staatsideals.

Zum Abschluss sei uns eine freimütige Behauptung erlaubt. Keine Gesellschaft, sei sie häuslich, beruflich, freizeitlich, sei sie Staat, Staatenbund oder Weltreich, kann dauerhaft und haltbare gute Früchte hervorbringen, wenn sie offiziell den Gottmenschen, die Erlösung, das Evangelium, die Gebote Gottes, die Heilige Kirche und das Papsttum verkennt. Zufälligerweise können einige Früchte gut sein. Doch wenn sie gut sind, sind sie nicht von Dauer. Sind sie schlecht und dauerhaft, werden sie schädlich.

Würde die Europäische Föderation sich im Schatten der Kirche stellen und von ihr sich inspirieren, anregen und beleben lassen, was könnte man daraus nicht alles erwarten? Verkennt sie aber die Kirche als den mystischen Leib Christi, was kann man dann von ihr erwarten?

Ja, was kann man von ihr erwarten? Einige gute Früchte, die man zweifellos mit allen Mitteln hervorheben und beschützen muss. Doch wie ist es begründet, auch andere Früchte zu erwarten! Und wenn diese Früchte bitter sind, wie kann man nicht befürchten, dass wir uns der Weltrepublik nähern, dessen Aufbau die Freimaurerei seit so vielen Jahrhunderten schon vorbereitet?






Veröffentlicht in „Catolicismo“Nr. 14 - Februar 1952 - mit dem Titel „A Federação Européia à luz da doutrina Católica“