Donnerstag, 24. November 2016

Drei Jahrzehnte unermüdlichen Kampfes für das katholische Litauen – 2. Teil

Opfer des Nationalsozialismus und des Kommunismus

Die aus dieser Lage hervorgegangene Stimmung gegen Russland ließ sich 1905 für kurze Zeit von den Erfolgen der anti-zaristischen Revolution täuschen, in der bereits die Vorzeichen des Kommunismus zu erkennen waren. Im Ersten Weltkrieg wurde die alte litauische Hauptstadt Kaunas 1915 dann von deutschen Truppen besetzt. Nach dem Triumph der Oktoberrevolution 1917 zog das litauische Parlament die Selbständigkeit unter deutschem Protektorat vor. Als aber dann 1918 das Königreich Litauen ausgerufen werden sollte, fielen diese Pläne dem Sturz der zentralen Monarchien zum Opfer. Unter englischem und französischem Schutz wurde Litauen nun eine Republik, die sich wiederholt gegen Gebietsansprüche Polens und Angriffe gegen die Unabhängigkeit des Landes zur Wehr zu setzen hatte.
1939 besetzte Hitler Klaipeda (das frühere Memelgebiet im nördlichen Ostpreußen) und kurz darauf drang die Rote Armee in Wilna ein. Auf diese Weise sollte sich der abscheuliche, am 23. August 1939 von den Vertretern des deutschen Nationalsozialismus und des russischen Kommunismus unterzeichnete Ribbentrop-Molotow-Pakt auch auf Litauen auswirken. Hitler versicherte Stalin in diesem Pakt, dass er sich einer Besetzung Litauens durch die kommunistischen Truppen nicht widersetzen würde. Am 28 September wurde diese Abmachung dahingehend ergänzt, dass Litauen, abgesehen von einem schmalen Grenzstreifen im Süden des Landes, völlig in sowjetische Hände übergehen sollte. 1941 wurde auch dieses Gebiet gegen Zahlung einer Entschädigung an Deutschland an die Russen abgetreten. Kurz darauf wurde Litauen offiziell in die sogenannte Sowjetunion aufgenommen. Am selben Tag, an dem die Truppen Nazideutschlands in Paris einzogen, brachte die Rote Armee Litauen in ihre Gewalt.
Die Besetzung durch die Nazis und dann durch die Kommunisten hatte zur Folge, dass die Bevölkerung Litauens mehrere Verhaftungswellen über sich ergehen lassen musste: Zuerst hatten die Deutschen rund 300.000 unerwünschte Litauer umgebracht, dann kamen 1940 die Russen und deportierten etwa 145.000 Litauer. Und immer wieder wurden zahllose Katholiken festgenommen und zu Tode gefoltert. In der Nacht vom 14. auf den 15 Juni pferchten die Russen rund 35.000 Männer, Frauen und Kinder in Viehtransportwaggons zusammen und verfrachteten sie nach Sibirien in Konzentrationslager. Zwischen 1944 und 1953 (Todesjahr Stalins) wurden schätzungsweise 600.000 Litauer deportiert. Die große Mehrheit davon hat die Heimat nie wiedergesehen.

„Schandfleck unserer Zeit“

Die Erinnerung an die erst vor kurzem zu Ende gegangene Geschichte der sowjetischen Unterdrückung, die sich über mehr als ein halbes Jahrhundert erstreckt hat, ist noch immer sehr lebendig. Die Statthalter Moskaus zwangen den Menschen in den Sowjetrepubliken während all dieser Jahre eine Herrschaft auf, die soviel Elend und Knechtschaft mit sich brachte, dass die damals von Kardinal Ratzinger, dem heutigen Papst Benedikt XVI., geleitete Kongregation für die Glaubenslehre diese in einer Instruktion zu Recht als einen „Schandfleck unserer Zeit“ bezeichnete (1).
Zahllose Werke und Unterlagen bezeugen das Ausmaß und die Grausamkeit dieser Tyrannei. Gegen sie hat sich Plinio Corrêa de Oliveira immer wieder in seinen Reden, Vorträgen und Beiträgen, vor allem aber in den von ihm geleiteten Presseorganen Legionário und Catolicismo, ausgesprochen.

Litauischer Kongress in São Paulo

Der Gründer der TFP ließ es aber nicht bei bloßen Worten bewenden. Er nahm Kontakt zu führenden Vertretern von in São Paulo ansässigen Flüchtlingsgruppen aus den unterdrückten Völkern auf, um sie im Kampf gegen die kommunistische Unterdrückung in ihren Heimatländern zu unterstützen. In diesem Sinne versuchte er, sie in einer repräsentativen, an gemeinsamen Grundsätzen orientierten Vereinigung der vom Kommunismus unterdrückten Völker zusammenzuführen. Die in den sechziger Jahren aus diesen Bemühungen hervorgegangene Organisation nannte sichPro Libertate und setzte sich aus Vertretern der wichtigsten Flüchtlings-„Kolonien“ in São Paulo zusammen.
Als in dieser Stadt der III. Interamerikanische Litauer-Kongress stattfand, trat Plinio Corrês de Oliveira in seiner Rede für die Durchführung einer Unterschriftensammlung auf internationaler Ebene ein, mit der der Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika aufgefordert werden sollte, jeden Dialog mit dem Kreml davon abhängig zu machen, dass den baltischen Staaten dafür die Unabhängigkeit zu gewähren sei. Bei dieser Gelegenheit konnte sich sein Vorschlag jedoch nicht gegen die damals äußerst intensiv geführte Propaganda zugunsten einer Entspannung gegenüber den kommunistischen Ländern durchsetzen. Doch sollte der Gedanke später mit den Bemühungen um die Unabhängigkeit Litauens wieder aufleben.
Um die ganze Entwicklung besser verstehen zu können, die schließlich zur Befreiung Litauens geführt hat, ist es unerlässlich, zuerst einen Blick auf die Vorgänge in der damaligen kommunistischen Welt zu werfen.

Die Unzufriedenheit wächst

Sowohl in Russland als auch in den Satellitenstaaten führten die Ausmerzung der Freiheit, das Elend und die Tyrannei der Gefängnisse und Konzentrationslager zu einem tiefen, ständig zunehmenden Unbehagen. In einer Veröffentlichung zu diesem Thema bezeichnete Plinio Corrêa de Oliveira dieses Unbehagen als eine Unzufriedenheit in Großbuchstaben, denn in ihm strömte alle regionale und nationale, wirtschaftliche und kulturelle Unzufriedenheit zusammen, die sich im Laufe vieler Jahrzehnte angesammlet hatte. Er drückte dies in folgenden Worten aus:„Es war eine totale Unzufriedenheit, die vom Einzelnen stumm und wie gelähmt in seiner Wohnung, seiner Hütte, seiner Kate ertragen wurde, wo die Familie bereits aufgehört hatte zu bestehen und an die Stelle der Ehe das Konkubinat getreten war.
Unzufriedenheit, weil die Kinder dem elterlichen „Heim“ entzogen und dem Staat überantwortet wurden, der nun ganz allein für ihre Erziehung zuständig war.
Unzufriedenheit auch am Arbeitsplatz, wo Faulheit, Untätigkeit und Langeweile einen großen Teil der Zeit ausfüllten und die schäbigen Löhne nur zum Kauf von Lebensmitteln und Waren in ungenügender menge und von schlechter Qualität, dem typischen Produkt einer verstaatlichten und vom Staatskapitalismus gegängelten Industrie, reichten. In den langen Schlangen, die vor Geschäften anstanden, aus deren fast leeren Regalen das schamlose Elend bleckte, wurde flüsternd vom qualitativen und quantitativen Mangel an allem gesprochen.
Unzufriedenheit vor allem auch, weil fast überall der Gottesdienst verboten war, die Kirchen geschlossen waren und in den Schulen der Religionsunterricht durch die Pflichtfächer Materialismus und Atheismus, kurzum durch die kommunistische Unreligion ersetzt worden war.“ (2) So ist es durchaus verständlich, dass sich die unterdrückten Völker – sowohl in der sogenannten Sowjetunion als auch in ihren Satellitenstaaten – danach sehnten, das unerträgliche Joch endlich abzuschütteln. In dieser Hinsicht konnten die Aufstände in Ungarn 1956 und in der Tschechoslowakei 1968 als Vorbilder angesehen werden.

Sozialismus „mit menschlichem Gesicht“

Der Aufstand in Ungarn wurde gewaltsam niedergeschlagen. Der „Prager Frühling“ dagegen wurde von einem Vertreter des sogenannten Sozialismus „mit menschlichem Gesicht“ angeführt, wie ihn übrigens auch die Sozialistische Partei Frankreichs des Präsidenten François Mitterand für die achtziger Jahre in ihr Programm aufgenommen hatten. In einer Botschaft, die von den TFP-Vereinigungen in den wichtigsten Zeitungen der Welt mit einer Gesamtauflage von 33 Millionen Exemplaren in einer Vielzahl von Ländern veröffentlicht wurde, hat Plinio Corrêa de Oliveira dem Sozialismus diese Maske eines „menschlichen Gesichts“ heruntergerissen. (3) Worin bestand dieser „Sozialismus mit menschlichem Gesicht“ Mitterands und seiner Partei im Wesentlichen? Es ging vor allem darum, in den Familien, in den Schulen, in den Unternehmen die Selbstverwaltung einzuführen. Statt zurückzuweichen, sollte damit ein Schritt „über den Kommunismus hinaus“ getan werden; gemäß den Lehren von Marx und Lenin war man bereit, den Staat und alle seine Einrichtungen zu zerschlagen und an seine Stelle die Anarchie der Selbstverwaltung zu setzen. (4)

Obwohl es von der Presse und von einem bestimmten wirtschaftlichen, politischen und religiösen Establishment als unerschütterlicher Riese hingestellt wurde (und bis zu einem gewissen Punkt immer noch wird) – vollmundig sprach man von der anderen „Supermacht“ –,  war das Sowjetimperium in Wirklichkeit nicht mehr als ein Leprakranker, dessen faulendes Fleisch zusehends zerfiel. Die Kraft der „Supermacht“ beruhte vor allem auf der Unterstützung und den Mitteln, die aus dem Westen kamen. Nachdem nun der „Sozialismus mit menschlichem Gesicht“, der die westliche Welt unmittelbar den fortschrittlichsten Zielen des Kommunismus entgegenführen sollte, entlarvt worden war, brachten die Rädelsführer der marxistischen Revolution eine neue Komödie auf den Spielplan, indem sie den neuen sowjetischen Generalbevollmächtigten, Michail Gorbatschow, ins Rampenlicht treten ließen.
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(1) Vgl. Instruktion über einige Aspekte der Theologie der Befreiung, vom 6. August 1984, XI, 10. In vollem Wortlaut heißt es dort: „Nicht zu verkennen ist dieser Schandfleck unserer Zeit: Unter dem Vorwand, ihnen die Freiheit zu schenken, werden ganze Nationen knechtschaftlichen Bedingungen unterworfen, die des Menschen unwürdig sind“.

(2) Vgl. Plinio Corrêa de Oliveira: „Comunismo e anticomunismo na orla da última década deste milênio“, in Catolicismo, São Paulo, März 1990.
(3) Die Botschaft erschien zuerst in der Washington Post der nordamerikanischen Hauptstadt und in der Frankfurter Allgemeine Zeitung in Frankfurt/Main am 9. Dezember 1981, wo sie jeweils sechs Seiten einnahm; es folgten weitere 46 wichtige Zeitungen der westlichen Welt. Eine Zusammenfassung erschien in verschiedenen internationalen Ausgaben des Reader’s Digest sowie in 23 weiteren Presseorganen.
(4) Cf. Plinio Corrêa de Oliveira: Les têtes tombent, TFP, Paris 1981,

Drei Jahzehnte... 3. Teil

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 Zuerst erschienen in Plinio Corrêa de Oliveira

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