Sonntag, 5. März 2017

Betrachtung zum Palsonntag


Ein Fehler, der sehr oft die Wirksamkeit der Betrachtungen, die wir uns vornehmen zu machen, mindert, besteht darin, Ereignisse aus dem Leben Jesu zu betrachten, ohne jegliche Anwendung und Beziehung zu dem, was in uns oder um uns geschieht. So verwundern wir uns über den Wankelmut und die Undankbarkeit des jüdischen Volkes, als sie kurz nach dem feierlichen Empfang, den sie Jesum bereiteten und als den Erlöser preisten, ihn mit einem für viele nicht erklärbarem Hass gekreuzigt haben.
Doch diese Undankbarkeit und diesen Wankelmut gab es nicht nur zur Zeit Jesu. Heute noch muss Unser Herr diesen Wechsel zwischen Anbetung und Schmach häufig ertragen. Und nicht nur im nicht einsehbaren Inneren des Gewissens der Menschen. In wie vielen Ländern wird Unser Herr ununterbrochen in kurzen Zeitabschnitten verherrlicht und beleidigt?
Verschwenden wir nicht unsere Zeit, um ums nur über die Falschheit derjenigen zu empören, die den Gottmenschen getötet haben. Für unser eigenes Heil wäre es sehr nützlich, wenn wir über unsere eigene Falschheit nachdenken würden. Mit dem Blick auf die Güte Gottes können wir so eine Besserung unseres Lebens erreichen.

Jedermann weiß, dass die Sünde eine Beleidigung Gottes ist. Wer eine Todsünde begeht, vertreibt Gott aus seinem Herzen, bricht mit ihm, als sein Geschöpf, das ihm geschuldete kindliche Verhältnis und verstößt die Gnade.
So gibt es eine deutliche Analogie zwischen dem Verhalten des jüdischen Volkes und unserem Zustand, wenn wir in eine Todsünde fallen: Wir kreuzigen Jesus.
Wie oft, nachdem wir Unserem Herrn brennende Erweise der Anbetung und Verherrlichung durch Taten oder wenigstens durch Lippenbekenntnisse einen Schein der Verehrung von uns geben, fallen wir in Sünden und Ihn somit in unserem Herzen ans Kreuz schlagen.
Das gleiche geschieht in vielen Nationen der Gegenwart. Es werden imposante katholische Veranstaltungen organisiert, in denen Unserem Herr öffentlich gehuldigt wird. Zugleich betreiben die an der Macht sich befindenden Staatsmänner mal stillschweigend, mal verdeckt oder sogar offen das auslöschen christlicher Institutionen und den Zerfall der gegenwärtigen Zivilisation in dem, was diese noch an christlichen Zügen vorweist. Während also diese Katholiken ihre Liebe zur Kirche Christi bekennen, lassen sie zu, dass durch ihre Lauheit, Gleichgültigkeit und Trägheit dieselbe Kirche allmählich gefesselt, dass ihr Einfluss klüglich ausgehöhlt wird, das ihre Tätigkeiten hinterhältig verhindert werden, sodass, wenn die Stunde des gewalttätigen Angriffs geschlagen hat, jegliche Reaktion unmöglich gemacht wurde. Völker wie diese, nachdem sie Unseren Herrn als König huldigten, oder während sie es taten, bereiteten schon die Verfolgungen und Traurigkeiten vor, die sich sehr wenig von der großen und göttlichen Tragödie der Karwoche unterscheiden.

Doch, Gott sei Dank, ist es nicht nur die Falschheit und der Wankelmut von einst die in unseren Tagen noch überleben. Man findet auch rührende Handlungen, die unmittelbar an die so zärtliche Frömmigkeit gegenüber Unseren Herrn und der so überlegenen Haltung vor den Peinigern der Veronika erinnern.
Wenn es stimmt, dass unsere Epoche sich auszeichnet durch große und unerwartete Austritte aus der katholischen Kirche, so stimmt es genauso, dass ein künftiger Historiker in ihr eine Epoche großer Heiliger ausmachen wird, die sich ausgezeichnet haben durch die Tugenden der Tapferkeit, der Klugheit und der Gerechtigkeit, die in der heutigen Welt fast ganz in Vergessenheit geraten sind.
Unser Herr wird zweifelsfrei in der Gegenwart aufs Höchste beleidigt (siehe die Welle der Blasphemie die die ganze Welt umspült).
Seien wir doch einige der Seelen, die, wenn auch nicht durch den Glanz unserer Tugenden, doch wenigstens durch die Aufrichtigkeit unserer Demut — eine bewusste, vernünftige, feste Demut und nicht nur von einer Demut mit klangvollem Wortgeschwafel und schief hängendem Haupt — in diesen heiligen Tagen Sühne leisten am Throne Gottes, ob der Menge der Beleidigungen, denen Unser Herr ausgesetzt ist.

(Freie Übersetzung aus „O Legionário“, Nr. 447, vom 6.4.1941)

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