Samstag, 28. April 2018

Vom Herzen der Mütter in die Herzen der Kinder:


Dona Lucília Ribeiro dos Santos
     
Die Eltern von Plinio Corrêa de Oliveira
Lucilia Ribeiro dos Santos und João Paulo Corrêa de Oliveira

Kaiserlicher Ministerratspräsident
João Alfredo Corrêa de Olivera
 
Lucília Ribeiro dos Santos (61), die Mutter von Plinio Corrêa de Oliveira, ist am 22. April 1876 in Pirassununga/São Paulo als zweites von fünf Kindern geboren. Ihre Kindheit verlief in der Umgebung eines ruhigen, aristokratischen Hauses, dem die leuchtenden Gestalten des Vaters Antônio (1848 – 1909), eines der besten Rechtsanwälte des damaligen São Paulo, und der Mutter Gabriela (1852 – 1934) vorstanden. 1893 war die Familie nach São Paulo in eine Villa im Stadtteil Campos Elíseos umgezogen. Dort hatte Lucília im Alter von dreißig Jahren den Rechtsanwalt João Paulo Corrêa de Oliveira (62) kennengelernt und geheiratet, der aus Pernambuco im brasilianischen Nordosten stammte und vielleicht auf Anraten seines Onkels, des Staatsrats João Alfredo, nach São Paulo gekommen war.
      Als sie die Geburt Plinios erwartete, machte der Arzt Dona Lucilia die Mitteilung, daß es eine risikoreiche Geburt werden würde, die sehr wahrscheinlich entweder sie selbst oder das Kind nicht überleben würden. Er wollte daher wissen, ob sie es nicht vorzöge, eine Abtreibung vorzunehmen, statt das eigene Leben aufs Spiel zu setzen. Darauf entgegnete Dona Lucilia ruhig aber bestimmt: „Herr Doktor, eine solche Frage stellt man einer Mutter nicht! Sie sollten so etwas nicht einmal in Erwägung ziehen!“ (63) Diese heldenhafte Einstellung bringt deutlich die Haltung eines ganzen Lebens zum Ausdruck.
     
Dona Lucilia mit dem neugeborenen Plinio
„Die Tugend“, schreibt Msgr. Trochou, „überträgt sich leicht vom Mutterherzen auf das Herz der Kinder.“ (64) „Da ich von einer tapferen christlichen Mutter erzogen wurde“, schrieb P. Lacordaire über seine Mutter, „ist die Religion wie eine jungfräuliche Milch ohne jede Bitterkeit von ihrer Brust auf mich übergegangen.“ (65) Auf ähnliche Weise hat auch Plinio Corrêa de Oliveira stets die geistige Ausrichtung, die seit der Kindheit sein Leben geprägt hat, Dona Lucília zugeschrieben:
      „Meine Mutter hat mich gelehrt, unseren Herrn Jesus Christus zu lieben, hat mich gelehrt, die heilige katholische Kirche zu lieben.“ (66) „Von ihr habe ich den römisch-katholischen apostolischen Glauben, die Andacht zum Heiligsten Herzen Jesu und zur Muttergottes als etwas tief Ernstes erhalten.“ (67)
     
Herz-Jesu-Statue in der von der
Familie frequentierten Herz Jesu-Kirche
in São Paulo
In einer Zeit, in der Leo XIII. die Gläubigen aufgerufen hatte, all ihre Hoffnung auf das Herz Jesu zu setzen und von ihm „die Erlösung zu erbitten und zu erwarten“ (68), war es diese für die Gegenwart so ausschlaggebende Andacht zum Heiligen Herzen Jesu, die das Leben Dona Lucilias bestimmte.(69) Nicht weit vom Hause der Familie Ribeiro dos Santos stand eine dem Herzen Jesu geweihte Kirche. (70) Dorthin führten die junge Mutter täglich ihre Schritte, und Plinio und seine Schwester Rosée begleiteten sie dabei. Hier, in dieser übernatürlichen Atmosphäre, wie sie früher in den Kirchen zu finden war, bildete sich beim Anblick der betenden Mutter in Plinios Geist jene besondere Anschauung von der Kirche, die ihn zutiefst geprägt hat. „Ich spürte“, erinnert er sich später, „daß die Quelle ihrer Wesensart in der durch die Muttergottes vermittelten Andacht zum Heiligen Herzen Jesu lag.“(71) Dona Lucília ist ihrer Jugendandacht stets treu geblieben. Als ihr in den letzten Lebensjahren schließlich die Kraft zum Kirchgang zu fehlen begann, verbrachte sie immer wieder bis spät in die Nacht lange Zeit im Gebet vor einem Alabaster-Statue des Heiligen Herzens Jesu, das im Hauptsalon des Hauses inthronisiert worden war.(72)
     
Maria, Hilfe der Christen in der
Herz Jesu-Kirche
In der Seele Dona Lucílias herrschten vor allem die Frömmigkeit und die Barmherzigkeit vor. Ihre Seele zeichnete sich durch außerordentliche Fähigkeiten der Zuneigung, der Güte und der Mutterliebe aus, die weit über die beiden Kinder hinausreichten, die ihr die göttliche Vorsehung anvertraut hatte.
      „Sie besaß eine ungeheure Zärtlichkeit“, erzählte Plinio Corrêa de Oliveira, „war eine sehr liebevolle Tochter, eine sehr liebevolle Schwester, eine sehr liebvolle Gattin, eine sehr liebevolle Mutter, Großmutter und sogar Urgroßmutter. Ihre Zärtlichkeit erstreckte sich so weit wie nur möglich. Dabei habe ich aber den Eindruck, daß etwas in ihr tonangebend war für all diese Liebe: Die Tatsache, daß sie vor allem Mutter war. Ihre überschäumende Liebe richtete sich nicht nur auf die Kinder, die sie wirklich gehabt hat, sondern auch auf die Kinder, die sie nicht gehabt hat. Man könnte sagen, daß sie für Millionen Kinder geschaffen war und daß sich ihr Herz danach sehnte, sie kennen zu lernen.“(73)
      Wer Dona Lucília nicht persönlich begegnet ist, kann sich dennoch an Hand einiger ausdrucksvoller Aufnahmen und zahlreicher Berichte von Zeugen, die sie in ihrem hohen Alter gekannt hatten, ein Bild von ihrer moralischen Statur machen.(74) Sie stellte das Vorbild einer echten Dame dar, die einen heiligen Franz von Sales auf seiner Suche nach der beispielhaften, als Philothea verewigten Gestalt ergötzt hätte.(75) Man kann sich gut vorstellen, daß Dona Lucília Plinio im Geiste jener Worte erzogen hat, die der heilige Franz Xaver einmal an seinen Bruder richtete, als er ihn zu einem Empfang begleitete: Wollen wir uns zur größeren Ehre Gottes gut benehmen!“
      Die Perfektion der guten Manieren ist Frucht einer Askese, die nur durch eine im Laufe von Jahrhunderten vervollkommnete Erziehung oder aber durch eine außerordentliche Tugendanstrengung erzielt werden kann und häufig etwa in kontemplativen Klöstern anzutreffen ist, in denen den jungen Novizinnen eine unter diesem Gesichtspunkt als königlich anzusehende Erziehung zuteil wird. Außerdem besteht der Mensch aus Körper und Seele. Da sich das Leben der Seele aber sinnlich wahrnehmbar durch den Körper bekundet, kommt auch die Nächstenliebe in äußerlichen Höflichkeitsbezeigungen zum Ausdruck. Die Höflichkeit ist ein gesellschaftliches Ritual, das sich von der christlichen Nächstenliebe nährt und auch auf die Ehre Gottes ausgerichtet ist. „Die Höflichkeit ist für die Nächstenliebe das, was die Liturgie für das Gebet ist: der Ritus, der es zum Ausdruck bringt, die Handlung, die es verkörpert, die Pädagogik, die es hervorruft. Die Höflichkeit ist die Liturgie der christlichen Nächstenliebe.“(76)
     
Lucília Ribeiro dos Santos verkörperte das Beste, was den alten aristokratischen Geist der Paulister ausmachte. In der Höflichkeit seiner Mutter, Ausdruck ihrer übernatürlichen Nächstenliebe, sah der junge Plinio eine bis zum Letzten gehenden Liebe zur christlichen Ordnung und einen ebenso radikalen Widerwillen gegen alles Moderne und Revolutionäre. Von dieser Zeit an waren aristokratische Manieren und freundlicher Umgang ein Bestandteil seines Lebens. Plinio Corrêa de Oliveira, der in seinem Benehmen an den Kardinal Merry del Val, den großen, für die Bescheidenheit seiner Seele und die Vollkommenheit seiner Umgangsformen berühmten Staatssekretär des heiligen Pius X. erinnerte, verstand es, sich in Gesellschaft vortrefflich zu verhalten. Sein Anstand war beispielhaft, seine Unterhaltung unerschöpflich und faszinierend.
      Die Vorsehung hat es so eingerichtet, daß diese Qualitäten im täglichen Zusammensein, das sich bis 1968 erstreckte, als Dona Lucília im Alter von 92 Jahren starb, stets aufs Neue genährt und belebten wurden.


Quelle: Roberto de Mattei, „Der Kreuzritter des 20. Jahrhunderts — Plinio Corrêa de Oliveira“. Herausgeber TFP e.V. und DVCK e.V., Frankfurt, 2004. Kapitel I, Abschnitt 5.
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61 Zu dieser außerordentlichen Frau verweisen wir auf die bereits zitierte Biographie von J. S. CLÁ DIAS mit einem Vorwort von P. Antonio ROYO MARÍN O.P. „Es handelt sich“, wie dieser Ordensmann  sagt, „um eine echte, umfassende Vita von Dona Lucília, die mit den besten ‚Heiligenleben‘, die bis heute auf der ganzen Welt erschienen sind, verglichen werden kann“. (ibid., S. 11)
62 João Paulo Corrêa de Oliveira wurde 1874 geboren und starb am 27. Januar 1961 in São Paulo. Mehr als durch die Gestalt des Vaters, mit dem ihn ein langer, herzlicher Umgang verband, wurde Plinios Leben ganz besonders von der Mutter erleuchtet, so wie auch diese bereits in ihrem Vater Antônio Ribeiro dos Santos ihr eigenes Vorbild gefunden hatte.
63 J. S. CLÁ DIAS, Dona Lucília, a.a.O., Bd. I, S. 123.
64 Domherr François TROCHOU, Le Curé d´Ars, Librairie Catholique Emmanuel Vitte, Lyon – Paris 1935, S. 13. Vom heiligen Augustinus, über den heiligen Bernhard und Ludwig den Heiligen, bis zum heiligen Don Giovanni Bosco und der heiligen Theresia vom Kinde Jesus gibt es eine große Zahl von Heiligen, die in der mütterlichen Tugend die Quelle der eigenen Tugend erkannten. So behauptet auch Msgr. Delassus, daß die Heiligkeit oft auf eine tugendhafte Mutter zurückzuführen ist (vgl. Msgr. Henri DELASSUS, Le problème de l´heure présente, Desclée de Brouwer, Lille 1904 (2 Bde.), italien. Übersetzg. Bd. II, S. 575f.
65 P. BARON, La jeunesse de Lacordaire, Cerf, Paris 1961, S. 39. Vgl. auch Geneviève GABBOIS, Vous êtes presque la seule consolation de l’Eglise, in Jean DELUMEAU (Hrsg.), La religion de ma mère. Le rôle des femmes dans la transmission de la foi, Cerf, Paris 1992, S. 314f.
66 Plinio CORRÊA DE OLIVEIRA, Un uomo, un‘ ideale, un‘ epopea, in Tradizione, Famiglia, Proprietà, Nr. 3 (1995), S. 2.
67 J. S. CLÁS DIAS, Dona Lucília,  Bd. III, S. 85. „Meine Mutter hatte einen Zug an sich, den ich sehr schätzte: Zu jeder Zeit war sie bis in die tiefste Seele eine Dame! Den Kindern gegenüber wahrte sie eine mütterliche Überlegenheit, die mich spüren ließ, wie schlecht ich handeln würde, wenn ich gegen ihre Autorität verstoßen würde, und welche Traurigkeit ein derartiges Verhalten meinerseits bei ihr hervorrufen würde, da daßelbe ja nicht nur eine Grobheit, sondern auch eine Übeltat gewesen wäre. Sie war wirklich eine Dame, denn in allen Lebensbereichen war sie auf rechte Ordnung bedacht. Ihre Autorität trug dennoch milde Züge. Manchmal verhängte Mutti geringe Strafen. Aber selbst wenn sie bestrafte oder tadelte trat ihre Milde so offen hervor, daß man sich getröstet fühlte. Rosée behandelte sie ähnlich, wenn auch zartfühlender, den sie war ja ein Mädchen. Die Zurechtweisung schloss jedoch keineswegs das Wohlwollen aus, und so war Mutti stets bereit, sich die Rechtfertigungen anzuhören, die ihre Kinder etwa vorzubringen hatten. So bildete die Güte das eigentliche Wesen ihrer Herrschaft. Damit will ich sagen, daß es sich um eine Überlegenheit handelte, die zwar aus Liebe zur hierarchischen Ordnung der Dinge ausgeübt wurde, die jedoch diejenigen, über die sie sich erstreckte, mit Zärtlichkeit und Großmut bedachte.“ (a. a. O., Bd. II, S. 16f.)
68 Leo XIII, Enzyklika Annum Sacrum, vom 25. Mai 1889, in Le Fonti della Vita Spirituale (1964), Bd. I, S. 198. Die von Leo XIII. in seiner Enzyklika angekündigte Weihe des Menschengeschlechts an das Heilige Herz Jesu geschah am 11. Juni 1890.
69 Die Andacht zum Heiligen Herzen Jesu wird vor allem in drei richtungsweisenden päpstlichen Verlautbarungen dargelegt, nämlich in den Enzykliken Annum Sacrum (1889) von Leo XIII., Miserentissmus Redemptor (1928) von Pius XI und Haurientis Aquas (1956) von Pius XII. Ihr großer Apostel war im 19. Jahrhundert der französische Jesuitenpater Henri Ramière (1821 – 1884) gewesen, der auf der ganzen Welt die Vereinigung „Apostolat des Gebets“ verbreitet und gefördert hat. In Brasilien hat sich vor allem der am 7. November 1837 in San Giovanni Roveto (Italien) geborene P. Bartolomeo Taddei um die Verbreitung der Andacht zum Heiligen Herzen verdient gemacht. Am 19. April 1862 zum Priester geweiht, war er am 13. November desselben Jahres in das Noviziat der Gesellschaft Jesu eingetreten und dann in das Kolleg des Hl. Ludwig von Gonzaga in Itu (Brasilien) gesandt worden. Dort hat er das „Apostolat des Gebets“ ins Leben gerufen und die Andacht zum Heiligen Herzen Jesu, das Hauptanliegen seines Lebens, zur Verbreitung gebracht. Als er am 3. Juni 1913 starb gab es in ganz Brasilien 1390 von ihm angeregte Zentren des „Apostolats des Gebets“ mit rund 40.000 Mitgliedern und 2.708.000 Anhängern. Vgl. Luigi ROUMANIE s.s., Il P. Bartolomeo Taddei della Compagnia de Gesù, apostolo del S. Cuore in Brasile, Messaggero del Sacro Cuore, Rom 1924; Aristide GREVE S.J., Padre Bartolomeu Taddei, Editora Vozes, Petrópolis 1938. Zur Verehrung des Heiligen Herzens Jesu vgl. das klassische Werk von Auguste HAMON, Histoire de la dévotion au Sacré-Coeur, Beauchesne, Paris 1923-1945, 5 Bde., sowie das jüngere Werk von Francesca MARIETTI, Il Cuore di Gesù. Culto, devozione, spiritualità, Editrice Ancora, Mailand 1991.
70 Die zwischen 1881 und 1885 im Stadtteil Campos Elíseos errichtete Herz-Jesus-Kirche wurde von Salesianerpatres betreut. Jahrelang stand dem Heiligtum P. Gaetano Falcone als Pfarrer vor. In dieser Kirche, in deren Seitenschiff ein herrliches Bildnis Unserer Lieben Frau von der Immerwährenden Hilfe stand, sollte der junge Plinio seine Andacht zur Gottesmutter als Auxilium Christianorum von Lepanto und zum Rosenkranz entwickeln.
71 J. S. CLÁ DIAS, Dona Lucília, Bd. I, S. 214.
72 A. a. O. Bd. III, S. 91f. Gewöhnlich betete Dona Lucília mit dem Psalm 90 und einer „unwiderstehlichen Novene“ zum Heiligen Herzen Jesu um den Schutz Gottes (a.a.O., S. 90f).
73 A. a. O., Bd. III, S. 155.
74 J. S. CLÁ DIAS, Dona Lucília, Bd. II, S. 173. „Zu ihren Vorzügen zählte der stets wache Sinn für den unüberwindlichen Gegensatz zwischen Gut und Böse, erinnert sich ihr Neffe Adolpho Lindenberg: Diese Polarisation war äußerst ausgeprägt: Die eine Tat ist sehr gut, eine andere sehr schelcht. Was mich besonders beeindruckte an ihr, war ihre grundlegende Abscheu gegenüber der Sünde. In meinen Augen als Knabe und junger Mann war es – mehr als diese oder jene Tugend – vor allem diese Haltung, die hervorstach: Der Begriff des Guten, für das wir uns begeistern und opfern müssen, und der Begriff des abscheulichen Bösen, das man hasst und verachtet.“
75 Der Heilige aus Savoyen lehrt uns in seinem berühmten Werk, wie eine Seele in dieser Welt leben kann, ohne sich vom Geist dieser Welt durchdringen zu lassen: „Gott will“, behauptet er, „daß die Christen als lebendige Pflanzen der Kirche jeweils nach der eigenen Güte und Frömmigkeit, Früchte der Andacht bringen.“ (Franz von SALES, Philothea, 1. Teil, Kap. III)
76 Roger DUPUIS, S.J., Paul CELIER, Courtoisie chrétienne et dignité humaine, Mame, Paris 1955, S. 182.

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